Synergien
durch
Vernetzung

In der deutschsprachigen Filmbranche ist das Münchner Unternehmen Crew United seit langem etabliert, aktuell hat die Plattform über 54.000 Mitglieder. Inzwischen gibt es Crew United auch in mehreren anderen europäischen Ländern, 2021 gab es die Creative Europe MEDIA Förderung für „Innovative Tools & Business Models in Höhe von 1,04 Mio. Euro. Geschäftsführer Oliver Zenglein spricht im Interview darüber, wie sich Crew United dort entwickelt und welche Ziele er und sein Team verfolgen.
Interview von Dominik Petzold
9 Minuten Lesezeit

Herr Zenglein, als Sie beschlossen haben, mit Crew United in anderen europäischen Ländern zu starten: Wie haben Sie da die Auswahl getroffen?

Wir haben 2019 mit Frankreich begonnen. Das ist das europäische Filmland schlechthin und hat auch ein großes Potenzial an Kund*innen. Nach dem westlichen haben wir uns als nächstes für unseres östliches Nachbarland entschieden: Polen. Das war nicht nur geografisch ein logischer nächster Schritt, da haben auch andere Aspekte eine Rolle gespielt. Wir waren schon lange im engen Austausch mit jemandem, den wir uns als Leitung für den Ausbau dort gewünscht haben – solche persönlichen Aspekte spielen auch eine große Rolle. In Griechenland war das ähnlich, da standen wir in einem intensiven Austausch mit einem deutschen Filmschaffenden, der sich dort als Service Producer selbstständig gemacht hat. In Italien gab es sehr enge Kontakte zu wichtigen Institutionen. Und für Spanien sprach, dass wir damit eine der meistgesprochenen Sprachen in unser System integrieren. Außerdem wird in Spanien viel produziert, was auch ein Entscheidungsfaktor war. Litauen und Rumänien sind dagegen Länder, die wegen ihrer Größe niemals profitabel für uns sein können. Die Idee ist, dass größere Länder wie Spanien und Italien langfristig diese kleineren mittragen.

 

Wie gut wird Crew United in all diesen Ländern angenommen?

Es gibt in keinem anderen Land ein vergleichbares Projekt wie Crew United, und die Recherchen vor Ort haben gezeigt, dass ein riesiges Interesse an einer Plattform wie unserer besteht. Doch die tatsächliche Umsetzung ist eine ganz andere Herausforderung. Das Projekt ist hochriskant. Crew United wird in allen Ländern sehr gut angenommen, aber solange eine bestimmte kritische Masse an Mitgliedern und Content noch nicht erreicht ist, ist für das nötige Wachstum an Registrierungen und zahlenden Mitgliedern eine intensive Betreuung durch die jeweilige Redaktion der Länder nötig. Es wird wohl immer mindestens fünf bis sieben Jahre dauern, bis ein Land profitabel ist. Auch weil jedes Land eine individuelle Strategie erfordert, da sich die Gegebenheiten in Bezug auf Struktur, Bedürfnisse und Historie deutlich unterscheiden. Das macht das Projekt aber auch unglaublich spannend, wir gewinnen täglich neue, einzigartige Einblicke, die in dieser Form bisher wohl noch nicht erfasst wurden.

 

Inwiefern?

Wir betrachten die Filmbranche in all diesen Ländern ganzheitlich und detailliert – einschließlich ihrer Geschichte, Arbeitsweisen, Arbeitskultur, Arbeitsbedingungen, Organisationsformen, gesetzlichen Rahmenbedingungen und Fördersysteme. Wir sammeln umfassende Informationen, die selbst in den jeweiligen Ländern oft nicht in dieser Tiefe vorliegen. Durch den Austausch dieses Wissens zwischen unseren Länderredaktionen können wir es sofort in einen europäischen Kontext setzen. Dieser aufwendige und intensive Lernprozess befähigt uns nachhaltig, ein europäisches Netzwerk zu entwickeln, das alle Beteiligten einbindet. So stärken wir die Identität und Weiterentwicklung der europäischen Filmbranche und erzielen gleichzeitig positive Effekte in den einzelnen Ländern. Aber zugegeben: Das ist ein Projekt für die nächsten 30 Jahre.

Wir leisten
echte Pionierarbeit

Können Sie nachvollziehen, inwiefern Crew United schon jetzt zur Vernetzung von Unternehmen und Filmschaffenden verschiedener europäischer Staaten beiträgt, also die internationale Zusammenarbeit unterstützt?

Ja und nein. Alles bekommen wir natürlich nicht mit. Aber zuallererst geht es ja um den Aufbau eines nationalen Netzwerks in den neuen Ländern, also das Schaffen von Strukturen und Möglichkeiten, um sich überhaupt vernetzen zu können. Sei es, um die richtigen Menschen für einen Film zusammenzubringen oder um in einen Austausch zu wichtigen Branchenthemen zu kommen. Und es geht für uns bei Zusammenarbeit immer um beides: die Zusammenarbeit bei Filmprojekten und die Zusammenarbeit bei den entscheidenden Themen und Herausforderungen der Branche. Für uns sind starke und funktionierende Ländernetzwerke die Voraussetzung, um ein lebendiges europäisches Netzwerk entwickeln zu können. So sehr sich die Branchen in den einzelnen Ländern unterscheiden, sie stehen vor ähnlichen Herausforderungen und beschäftigen sich mit denselben Themen. Ein Austausch darüber findet selten statt. Hier konnten wir schon viel in Gang setzen, weil wir wissen, wer in welchem Land wie an welchen Themen arbeitet. Allein das Vernetzen setzt eine große Menge an Synergien frei. Bei der konkreten Produktion von Filmen verbessern wir die länderübergreifende Kommunikation und Transparenz, besonders bei Koproduktionen und Produktionsdienstleistungen, die in verschiedenen Ländern stattfinden. Hier bietet ein Profil auf Crew United eine klassische Win-Win-Situation. Diesen Effekt nutzen wir gezielt und arbeiten aktiv mit internationalen Produktionen und lokalen Produktionsdienstleistern zusammen. Kurz gesagt: Wir leisten echte Pionierarbeit!

 

Die muss aber erstmal finanziert werden. Wo ist Crew United bereits profitabel?

Deutschland, Österreich und die Schweiz sind extrem profitabel. Italien, Spanien, Griechenland, Litauen und Rumänien sind ja erst ein gutes Jahr online, Polen ist im dritten Jahr und Frankreich im vierten – aber da sind wir mitten in der Coronazeit gestartet. In Frankreich haben wir über 3.000 Mitglieder und es gibt viele positive Zeichen, dass es uns in den nächsten fünf Jahren gelingen könnte, profitabel zu werden.

 

Wie viele Leute arbeiten in den Editorial Teams der Länder?

Das hängt von der Größe der Länder ab. In Litauen ist es beispielsweise ein Mitarbeiter, in Spanien sind es drei.

Es braucht neben einem übergeordneten Konzept auch länderspezifische Strategien

Wie machen Sie Crew United in den jeweiligen Ländern bekannt?

Das ist sehr komplex: Was in einem Land funktioniert, kann in einem anderen völlig wirkungslos sein. Seit wir mit Frankreich gestartet sind, monitoren wir genau, welche Maßnahmen in welchen Ländern gut funktionieren, und die Mitarbeiter*innen der unterschiedlichen Länder sind zu diesem Thema regelmäßig und intensiv im Austausch. Der erste Schritt ist in jedem Land der Aufbau eines konstruktiven und nachhaltigen Austauschs mit allen Stakeholdern wie Brancheninstitutionen und Berufsverbänden. Social Media spielt natürlich eine große Rolle, aber auch hier sind die Unterschiede erstaunlich groß. Es braucht neben einem übergeordneten Konzept – beispielsweise für Instagram – auch länderspezifische Strategien. Seit Frühsommer dieses Jahres machen wir in allen neuen Ländern monatliche Online-Webinars, die unglaublich gut angenommen werden.

 

Worum geht es da?

Mit der Webinarfunktion von Zoom laden wir monatlich alle neu registrierten Mitglieder zu einem Online-Webinar ein. Zusätzlich bieten wir themenspezifische Webinare an, zu denen alle Mitglieder eines Landes oder Vertreter*innen bestimmter Berufsgruppen eingeladen werden. In diesen Sitzungen informieren wir über die Nutzung von Crew United und bieten die Möglichkeit, Fragen zu stellen. So kommen wir in einen direkten und persönlichen Austausch mit den Filmschaffenden vor Ort – und werden Zeugen eines Austauschs unter den Filmschaffenden, den es so in den Ländern bisher noch nicht gab. Diese Webinare sind oft der Beginn einer Netzwerkbildung unter Filmschaffenden im jeweiligen Land, da es dort häufig an entsprechenden Strukturen fehlt. Da schlagen unsere Netzwerk-Herzen natürlich höher.

 

Planen Sie in diesen Ländern etwas Ähnliches wie Ihr Magazin cinearte oder Ihren monatlichen Newsletter?

Klar, das würde wir gerne machen. In Italien werden wir bald ein Podcast-Format ausprobieren. Aber vieles wird erst möglich sein, wenn die neuen Länder beginnen, profitabel zu sein.

 

Welche Länder wollen Sie als nächstes in den Blick nehmen?

Zuallererst müssen die vorhandenen Länder profitabel werden. Aber auf unserer Wunschliste stehen aktuell Tschechien – hier wartet man schon ungeduldig auf uns – die Niederlande, alle skandinavischen Länder und Irland.

 

Sie haben 2021 die Creative Europe MEDIA Förderung für „Innovative Tools & Business Models“ bekommen. Inwiefern hat das geholfen, international tätig zu werden?

Crew United Europe ist ein risikoreiches Projekt. Ohne die finanzielle Unterstützung von Creative Europe hätten wir diesen großen Schritt nicht in dieser Geschwindigkeit gewagt.

Copyright: Alena Sternberg

Die Teams von Yamdu und Crew United kurz vor dem gemeinsamen Crew Call München

Welche Fördersumme haben Sie von Creative Europe MEDIA erhalten?

Das Projekt wurde für drei Jahre mit rund 1,74 Millionen Euro kalkuliert. 60 Prozent davon erhalten wir von der EU, also 1,04 Millionen Euro, der Großteil dieser Summe wird für das Projekt Crew United Europe verwendet. Den Rest stemmen wir selbst.

 

Mit einem anderen geförderten Unternehmen haben Sie eine Kooperation geschlossen: Yamdu. Was ist geplant?

In den ersten Schritten werden wir Produktionsfirmen, die Yamdu zur Projektdurchführung nutzen, insbesondere im Bereich „Recruiting“ unterstützen. Yamdu wird in seinen Tools zur Crew-Zusammenstellung und später auch beim Casting direkt auf die Funktionen und Informationen von Crew United zugreifen können. Zudem werden Nutzer*innen bei Yamdu direkt aus der Anwendung heraus Stellenangebote bei Crew United veröffentlichen können. Dies ist der Anfang, weitere Synergieprojekte sollen folgen.

 

Spüren Sie die aktuell angespannte Situation in der Produktionsbranche? Haben bei Ihnen Leute gekündigt, weil sie den Job gewechselt haben?

Nach einem Höchststand im Produktionsaufkommen in Deutschland im Jahr 2022 verzeichnete die Branche 2023 einen deutlichen Rückgang – und der hat sich 2024 fortgesetzt. Diese Entwicklung lässt sich in unserer Datenbank anhand der jährlichen Produktionszahlen einzelner Sparten klar nachvollziehen. Das, die allgemeine wirtschaftliche Schwäche und hohe Inflation haben eine Abwanderung von Filmschaffenden aus der Branche ausgelöst – in einem Ausmaß, wie ich es in den letzten 35 Jahren nicht erlebt habe. Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind auch für uns spürbar. Besonders kritisch ist jedoch der zunehmende Fachkräftemangel in der Filmbranche, der sich unabhängig vom Produktionsvolumen verschärfen wird. Die Ursachen sind dieselben wie in anderen Branchen, und sie erfordern langfristige Konzepte und Strategien. Hier jedoch zeigt die Filmbranche erhebliche Defizite: Produzent*innen scheinen primär froh, nach den herausfordernden Jahren 2021 und 2022 wieder Personal zu für sie akzeptablen Gagen zu gewinnen – alles andere findet noch nicht die notwendige Beachtung. Dabei ist klar: Filmschaffende, die die Branche verlassen, kehren in der Regel nicht zurück. Zwar fehlen belastbare Untersuchungen, aber ich gehe davon aus, dass in keiner anderen Branche so viele Fachkräfte im Alter von 35 bis 50 Jahren ihren Beruf aufgeben wie im Film. In anderen Branchen gilt es als wichtigster Grundsatz, bestehende Fachkräfte zu halten, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Die Filmbranche jedoch müsste hierfür endlich fairere und familienfreundlichere Arbeitsbedingungen schaffen und in moderne Arbeitsmodelle investieren. Das hätte einen doppelten Effekt: Erfahrene Filmschaffende würden länger bleiben, und der Nachwuchs wäre eher bereit, in die Branche zu kommen. Der hat nämlich klugerweise keine Lust mehr, die Selbstausbeutung zum Lifestyle zu erklären.

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Interview: Dominik Petzold
Digitales Storytelling und Gestaltung: Schmid/Widmaier

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