Bon
Cinéma

Das geschichtsträchtige Theatiner-Kino in München hat neue Betreiber*innen, die ein großes Erbe antreten. Wir stellen sie und ihre Pläne vor.
von Dunja Bialas
5 Minuten Lesezeit
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Sie sind die Neuen: Claire Schleeger, 27, und Bastian Hauser, 38, leiten seit Jahresbeginn das Theatiner-Kino. Mit ihnen wurde ein Betreiberwechsel in einem der bedeutendsten Münchner Arthouse-Kinos vollzogen, auf den viele Kenner der Szene seit langem gehofft hatten. Erst jetzt, über neunzigjährig, konnte sich Kinobetreiberin Marlies Kirchner zu diesem Schritt durchringen. Seit 1975 hatte sie das Theatiner alleine geführt und zu einer der besten Spielstätten Europas gemacht. 2018 erhielt das Kino mit dem „Europa Cinema Award“ die höchste Programm-Auszeichnung.

Zwei Jahre zuvor hatte Dieter Kosslick Marlies Kirchner die Berlinale-Kamera überreicht, 2022 wurde sie zum „Officier des Arts et des Lettres“ des französischen Kulturministeriums ernannt.

Ein großes Erbe also, das die jungen Kinobetreiber*innen antreten. Beim Treffen im Foyer der „Theatiner Filmkunst“, wie das Kino eigentlich heißt, strahlen sie Optimismus und Tatendrang aus. Als ersten Akt haben sie die „BC Filmtheater Betriebs-GmbH“ gegründet, BC stehe für „bon cinéma“, ein Versprechen für das gute Kino, das sie gemeinsam machen wollen.

Die Liebe zum Kino brachte Claire Schleeger und Bastian Hauser zunächst zum Filmclub „U-Kino“ der LMU München. Seit dreizehn Jahren arbeitet Hauser jetzt schon im Theatiner, begonnen hatte er als Vorführer an den analogen 35mm-Projektoren. Schleeger, die derzeit in Komparatistik promoviert und die Uni ihr „erstes Standbein“ nennt, kam einige Jahre später zum Theatiner. Das Kino im persönlichen Austausch mit ihrem Publikum zu führen, ist ein Stil, den sie sich von Kirchner abgeschaut haben. Auch sie hatte immer Empfehlungen parat und sich über das Publikums-Feedback gefreut. Der tägliche Gang ins Kino war ihr auch deshalb so wichtig – bis die Pandemie das jäh beendete.

Claire Schleeger übernahm die Social-Media-Kanäle und jobbte im Kassenhäuschen, wo auch schon Marlies Kirchner Eintrittskarten von bunten Papierrollen für die Besucher abgerissen hatte. „Der Kontakt an der Kasse ist immer auch Gelegenheit, um mit den Besucher*innen über die Filme ins Gespräch zu kommen“, sagt Schleeger.

Seit der empfindlichen Zäsur der monatelangen Kinoschließung in den Jahren 2020 und 2021 ist Marlies Kirchner nicht mehr zurückgekehrt. Hauser übernahm große Teile des operativen Geschäfts mit Filmdisposition und Abrechnungen und zusammen mit Schleeger zunehmend auch die wöchentliche Programmplanung. Für Sonderprogramme hatte Kirchner ihrem Team ohnehin schon länger die kuratorische Verantwortung übergeben. Seit 2015 veranstaltet das Kino Retro-Filmreihen im Rahmen der Filmkunstwochen München, die von Bernd Brehmer, der Kollege aus dem Werkstattkino, Ulrich Mannes, Herausgeber des Sigi-Goetz-Entertainment und ebenfalls Mitarbeiter des Theatiner, sowie Claire Schleeger und Bastian Hauser erdacht werden. Im Ferienmonat August erzielen sie damit Rekordzahlen. Dafür wird seit Jahren auch der verbliebene 35mm-Projektor wieder in Betrieb genommen – für Filmkopien, die die Historie des Theatiner aufgreifen.

Die „Theatiner Filmkunst“ mit einer der ersten Cinemascope-Leinwände Deutschlands wurde 1956 im Ensemble der Theatinerpassage neu errichtet und steht heute unter Denkmalschutz. Bereits ein Jahr später übernahm der Verleihpionier Walter Kirchner das Kino und brachte mit seinem Verleih „Neue Filmkunst“ zunächst Werke heraus, die während des Nationalsozialismus verboten waren.

Bald konzentrierte er sich auf die Filme der Nouvelle Vague und anderer europäischer Wellen. Der zeitgenössische europäische Autorenfilm wurde zum Markenzeichen der Theatiner Filmkunst.

Schleeger betont, wie wichtig ihnen die internationale Ausrichtung des Kinos ist. Sie versteht Kino als „offenen Begegnungsort unterschiedlicher Generationen, Nationalitäten und Interessen der Stadtgemeinschaft“. Gerne finden sich im Theatiner die von den Filmen angesprochenen „Communities“ ein, aus Frankreich, Spanien, Italien sowie die Cineast*innen der Stadt, von der Taxifahrerin bis zum Opernsänger. „Auch aufgrund der Untertitel ist unser Publikum breit gefasst“, sagt Schleeger. So kommen etwa auch Menschen mit Hörbeeinträchtigung. Die moderaten Eintrittspreise haben in der exklusiven City-Lage zudem einen demokratisierenden Effekt: Schleeger und Hauser bieten bewusst ein niederschwelliges und für alle offenes Kulturerlebnis an.

Das im Theatiner mit internationalen Arthouse-Filmen, Dokumentarfilmen, Filmgesprächen und Festivals überaus vielfältig ist. Jetzt wollen sie zusätzlich mit historischen Filmreihen das Filmerbe lebendig halten, nach dem Vorbild der Pariser Kinos. Als nächstes ist eine Reihe zu Jean Eustache geplant, für die Schleeger und Hauser mit Kinobetreiber Thomas Kuchenreuther zusammenarbeiten. Synergien ergeben sich auch aus Kooperationen mit anderen Künsten. Die Initialzündung gab Axel Ranisch mit seinem Kurzfilm The Bear / Voix humaine, den er im Rahmen des Opernfestivals mit Live-Gesang im Kinosaal aufführte. Das war 2013. Seitdem haben sich die Kooperationen vertieft und vervielfältigt, auch mit Institutionen der Münchner Kunstszene und der Akademie der Bildenden Künste. So wurde 2021, begleitend zur Ausstellung in der Pinakothek der Moderne, Joseph Beuys’ Multiple Das Schweigen im Theatiner-Foyer und Ingmar Bergmans Film auf der Leinwand gezeigt.

Wie wird das Theatiner der Zukunft aussehen? Hauser geht erst einmal die technische Seite durch: Der DCP-Projektor wird durch das neueste Modell ersetzt. Kleinere denkmalschutzwahrende Restaurierungen werden vorgenommen. Schleeger ergänzt: Kern werden weiterhin die aktuellen europäischen Arthouse-Filme sein. Das Programm wird sich daneben weiter filmhistorisch und interdisziplinär ausrichten, Festivals wie die Französische Filmwoche, Underdox oder Cinema Italia werden zu Gast sein. Auch jungen Projekten wollen sie Raum geben. Wie der Filmzeitschrift „Revü“, die an der HFF von Filmstudierenden herausgegeben wird und zum Heft-Release den Kinosaal mit junger Lässigkeit belebt. „Es ist sogar eine eigene Filmreihe angedacht“, verrät Schleeger. Und was würden sie sich wünschen, wenn sie einen Wunsch frei hätten? „Dass das Filmfest München ins Theatiner zurückkehrt“, sagen sie spontan. Argumente dafür gibt es allemal. Das Publikum zumindest wäre schon da.

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Dunja Bialas
Fotos
: Dunja Bialas, Andreas Teich, Theatiner Filmkunst
Redaktion und digitales Storytelling: Olga Havenetidis
Gestaltung: Schmid/Widmaier

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