Ein
Omnibus­film
bei der
Berlinale

Filmisch Risiken eingehen, um zu gelingen: Die HFF München-Absolvent*innen Maximilian Bungarten, Camille Tricaud und Felix Herrmann haben mit ihrer Firma Benedetta Films und Regie-Kommiliton*innen anlässlich der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland das Projekt Elf Mal Morgen für die Internationalen Filmfestspiele Berlin 2024 produziert. Ein Gespräch über dieses außergewöhnliche Projekt.
Interview: Olga Havenetidis
6 Minuten Lesezeit

Wie kam es zur Idee für das Projekt „Elf Mal Morgen »?

Mariette Rissenbeek von der Berlinale kam auf uns zu mit der Idee, elf Kurzfilme über Jugendliche und Fußball zu machen. Anlass war die EM 2024, die in Deutschland stattfinden wird. Als wir das hörten, waren wir schnell begeistert, weil wir gleich an das Konzept des Omnibusfilms denken mussten. Deutschland im Herbst, Loin de Vietnam oder vor ein paar Jahren Futura sind Filme, die uns begeistern. Sehr unterschiedliche Filmemacher*innen tun sich zusammen und machen einen gemeinsamen Film. Das hat eine ganz besondere Kraft. Man sieht auch viel mehr, als bei einem Film mit nur einer Stimme. Dann hatten wir das Gefühl, dass Fußball auch ein unglaublich toller Zugang zu sehr tollen Protagonist*innen ist. Fußball ist der Sport, der alle Klassen, alle Schichten, alle Körper verbindet. Und es gibt immer sofort eine hohe Energie, wenn man als Filmemacher*in auf ein ganzes Team trifft.

Welche Vereine habt Ihr ausgesucht?

Im Prolog sagt die Stimme: « Als ich früher an Fußball dachte, dachte ich an brüllende Männer im Stadion und an Cristiano Ronaldo, der im Privatjet nach Saudi Arabien fliegt. Ein bisschen dachte ich auch an Frauenfußball, aber nicht so viel. »Fußball ist ja auch in der Krise. Was will man denn überhaupt noch sehen? Unsere Ausgangsposition war tatsächlich, genau dahin zu schauen, wo kommerzieller Fußball keine Rolle spielt. Wir wollten etwas anderes zeigen. Die elf Kurzfilme spielen zum Beispiel bei der Mädchen-B-Jugend von Al-Hilal Bonn, bei einer inklusiven Mannschaft in München, in einem sorbischen Dorf in der Oberlausitz, bei einem frisch gegründeten Fanclub in Chemnitz, bei der Jungs-B-Jugend von Maccabi München, den Frauen von Türkiyemspor Berlin, der Blinden Mannschaft des FC Ingolstadt, oder der D-Jugend von KS Polonia Hamburg, wo viele ukrainische Kinder spielen. Uns ging es auch darum, durch diesen Film das Licht dahin zu richten, wo Menschen, Trainerinnen und Trainer – die zum größten Teil ehrenamtlich arbeiten – eine unglaublich wichtige, auf natürliche Art integrative Arbeit leisten. Diese Arbeit wollten wir auch würdigen.

Szene aus „Elf Mal Morgen“

Wie haben die Vereine eure Anfrage reagiert?

Bei der Suche nach Vereinen hat uns die Philipp-Lahm-Stiftung unterstützt, die sich für den Amateurfußball engagiert. Mit manchen Vereinen hat es mehr Zeit gebraucht, weil die Trainer*innen schon extrem viel zu tun haben, sodass sie nicht sofort auf unsere Anfrage reagieren konnten. Manche waren auch extrem überrascht von der Anfrage. Uns war sehr wichtig, dass die Filme auf Augenhöhe entstehen. Das heißt, dass die Filmteams keinen Film « über » die Jugendliche im Verein machen, sondern « mit » denen zusammen.

Das Team von Benedetta Films: Felix Herrmann, Camille Tricau
und Maximilian Bungarten

Ihr drei von Benedetta Films wart Executive Producers und Künstlerische Leitung. Wieso wart Ihr ideal dafür aus eurer Sicht?

Wir drei sind alle Regisseur*innen und Produzent*innen zugleich. Das heißt, wir haben dieses Projekt aus einer Filmemacher*innenperspektive konzipiert und uns erstmal gefragt, was in den elf Episoden erzählt werden kann, aber auch, was praktisch machbar ist. Außerdem war unser Anspruch, dass wir Kinokurzfilme machen wollen, die auch auf internationalen Festivals zu sehen sein könnten. Das hat dann eine tolle Verbindung ergeben: Das sehr populäre und einfach zugängliche Thema Fußball und dahinter Kurzfilme, die ganz frei in der Form und überraschend sind. Wir haben zum Beispiel festgelegt, dass fast alle Filme – obwohl dokumentarisch – auf nur 3-5 Rollen 16mm gedreht werden. Das erfordert besondere Konzentration. Alle Filmemacher*innen sollten recherchieren, sehr genaue Konzepte entwickeln, und dann mit großer Präzision drehen. Es war also viel Risiko bei allen Beteiligten. Auch von Mariette, dem gesamten Berlinale-Team und der HFF München. Aber wir sind überzeugt davon, dass nur so Kino gelingen kann, wenn man vor allem filmisch etwas riskiert.

Szene aus „Elf Mal Morgen“

Habt Ihr mit Benedetta Films die Produktion aller elf Kurzfilme künstlerisch geleitet oder auch andere Produzent*innen hinzugezogen?

Für die künstlerische Leitung, von der Konzeptentwicklung der einzelnen Episoden bis in die letzte Feedbackrunde im Schnitt waren wir als Benedetta Films alleine verantwortlich, aber haben immer Rücksprache mit Mariette Rissenbeek gehalten. Die Professorin für Dokumentarfilm der HFF München Karin Jurschick hat uns ebenfalls sehr unterstützt, wie die gesamte Dokumentarfilmabteilung und die Präsidentin der HFF Bettina Reitz.

Mit welchen Regisseur*innen habt Ihr zusammengearbeitet?

Die Regisseur*innen sind alle Studierende im Hauptstudium an der HFF München, die sich für das Projekt nach dem Aufruf beworben haben. Die meisten kommen aus der Dokumentarfilmabteilung, aber zwei sind Spielfilmerinnen gewesen. Eine Gruppe hat auch Co-Regie gemacht. Es sind insgesamt alles erfahrene Regisseur*innen, die teils schon mehrere erfolgreiche Kurzfilme realisiert haben. Die Zusammenarbeit war unter uns allen auch auf Augenhöhe, das war für das Gesamtprojekt sehr wichtig. Mit dabei waren: Anna-Maria Dutoit, Kilian Armando Friedrich, Indira Geisel, Eva Gemmer, Hannah Jandl, Justina Jürgensen, Hilarija Ločmele, Daniela Magnani Hüller, Sophie Mühe, Katharina Schnekenbühl und Marie Zrenner.

Wie war die Premiere?

Die Berlinale hat alle Protagonist*innen der Filme mit Begleitung von Trainer*innen und/oder Vorstand zur Premiere nach Berlin eingeladen. Das Haus der Berliner Festspiele, ein riesiger Kinosaal für tausend Zuschauer*innen, war voll mit 130 Jugendlichen, die den Film zum ersten Mal entdeckt haben. Man konnte eine große Freude im Saal spüren, es wurde viel gejubelt, extrem viel applaudiert, aber es gab auch viel Respekt und Aufmerksamkeit. Die einzelnen Episoden thematisieren nämlich zum Teil ernste Themen und es wurde immer aufmerksam zugehört und zugeschaut. Also viele – und wir auch – waren beeindruckt und berührt.

Mariëtte Rissenbeek, Philipp Lahm, Célia Šašić, Bettina Reitz

Wie geht es mit Euch dreien weiter? Welche sind Eure Zukunftspläne?

Für uns war dieses Projekt eine tolle Erfahrung : Es ist etwas besonderes, einen kollektiven Film auf die Beine zu stellen und dazu noch in so kurzer Zeit. Jetzt widmen wir uns erstmal wieder unseren eigenen Regie-Projekten. Was sich dabei immer mehr herauskristallisiert, ist, dass wir Filme über junge Erwachsene machen und aus Bayern heraus sehr europäisch arbeiten, vor allem mit Frankreich, wohin wir bereits seitdem Studium gute Verbindungen haben. Außerdem werden wir bestimmt dabei bleiben, dokumentarische Elemente in unsere fiktionale Arbeiten zu übertragen, aber auch das konzentrierte Arbeiten auf analogem Film wird uns wohl begleiten. Maximilian Bungarten arbeitet gerade an einem Film, der von einer neuen Generation von queeren, jungen Menschen auf dem Land erzählt. Camille Tricaud wird eine sehr besondere deutsch-französische Literaturadaption und einen Genre-Film machen, über den man noch nicht so viel verraten darf. Und Felix Herrmann arbeitet an einem Coming-of-Age-Film in der Nacht, der die Melancholie des deutschen New Wave und Cloud Rap streift. Außerdem entwickeln wir gemeinsam mit einem ukrainischen Kollektiv ein Projekt. Und eines Tages werden wir sicher wieder einen Omnibusfilm machen !

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Fotos: Benedetta Films, Berlinale
Redaktion und digitales Storytelling: Dr. Olga Havenetidis
Gestaltung: Schmid/Widmaier

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