Eine ganz andere Schön­heit

Mit I wanna be ur dog lassen uns Kathrin Brunner und Oliver Czeslik in die Wahrnehmungswelt von Hunden eintauchen. Die Weltpremiere der vom FFF geförderten VR-Experience war auf der Art Basel Miami. In München wird sie beim DOK.Fest gezeigt.
von Jürgen Moises
7 Minuten Lesezeit

Hunde gelten als die treuesten Freunde der Menschen. Aber was sie fühlen oder sehen, wenn sie mit uns zusammen sind, oder wie sie allgemein die Welt wahrnehmen, das bleibt trotzdem ein Rätsel. Gut, es gab Spielfilme wie Hachiko, Trickfilme wie Susi und Strolch, Romane wie Fünfzehn Hunde oder Comics wie Mein Freund Toby, die uns die Welt der Hunde näherbringen wollten. Und zuletzt hatten etwa Filme wie Cow oder EO versucht, uns die Welt aus der Perspektive von Tieren zu zeigen. Jedoch war dort vieles Fantasie und Projektion. Und die am Ende wohl wirkliche letzte Hürde zwischen Mensch und Tier blieb bestehen. Mit I wanna be ur dog unternehmen Kathrin Brunner und Oliver Czeslik nun einen neuen Anlauf, uns die Welt aus der Hunde-Perspektive wahrnehmen zu lassen. Ihre Mittel dafür lauten: Virtual Reality, Film sowie Neuro- und Body-Feedback. Oder allgemeiner: Kunst und Wissenschaft.

Erstmals öffentlich zu erleben war die interaktive VR-Eperience von mYndstorm, wie sich die im bayerischen Haar und Berlin ansässige Produktionsfirma von Brunner und Czeslik nennt, vom 29. November bis 3. Dezember 2023 in Florida. Dort hatte I wanna be ur dog als Wettbewerbsbeitrag auf der Art Basel Miami seine Weltpremiere.

Clara Sayffaerth (LMU München), Oliver Czeslik und Kathrin Brunner beim Empfang im Frost Science Museum

Auch Mind The Brain! haben die beiden dort als US-Premiere präsentiert, den ersten Teil ihrer „Delimination“-Trilogie, von der I wanna be ur dog die Fortsetzung bildet. Mind The Brain! war von einem Schlaganfall von Czeslik inspiriert, den er 2016 hatte. Der führte zu einer Dysfunktion in seinem Gehirn und dadurch einer ungewöhnlichen Störung oder eher Erweiterung der Wahrnehmung. So konnte er, so seine Wahrnehmung, etwa durch eine Wand schauen.

Eine besondere, „sehr aufregende“ Erfahrung waren auch die Tage in Miami, wie man von Oliver Czeslik am Telefon erfährt. Der deutsche Generalkonsul von Miami Christofer Burger war bei der Premiere. Und dann noch „Delegierte aus der ganzen Welt“, darunter Vertreter von Firmen aus Frankreich, Taiwan oder Kanada. Die hätten, so Czeslik, gestaunt, „dass Bayern mit solchen Innovationen aufwartet“. Auch Kurator*innen von verschiedenen Festivals waren da, wodurch sich etwa eine Einladung zum Filmfestival in Istanbul im kommenden Mai ergeben hat.

Die Amerikaner selbst seien, sagt Oliver Czeslik, ebenfalls „sehr angetan“ gewesen von I wanna be ur dog und Mind The Brain!, das sie im Auditorium der Universität Miami aufgebaut hatten. Mind The Brain! lief in Miami außer Wettbewerb. „Es war angekündigt als große Show und als Performance, das haben wir auch gemacht, vor 150 bis 200 Teilnehmern.“

In München ist die die Premiere der VR-Experience, die genauso wie Mind The Brain! vom FFF Bayern gefördert wurde, im Mai beim DOK.fest geplant. Als Kooperation mit dem XR Hub Bavaria. München ist auch der Ort, wo die Dreharbeiten und die „Data Shoots“ stattfanden und aus dem die daran beteiligten Hunde sowie ihre Herrchen oder Frauchen stammen: Lola, ein Mini-Labrador-Mix, mit der man virtuell über eine Wiese laufen kann. Lucky, ein silberner Labrador und Blindenführhund, mit dem man die Welt rund um den Pasinger Bahnhof erlebt. Und die französische Bulldogge Dalbert, mit dem man zusammen seinem Herrchen Tomas beim Surfen auf dem Eisbach zusehen und auf der Wiese chillen kann. Erleben kann man das alles zunächst in Form von Videobildern. Danach geht es in die VR und rein in die Perspektive der Hunde. Da lässt sich dann erfahren, was die Hunde sehen, fühlen, riechen oder hören.

Möglich wird das durch Sensoren und medizinische Geräte, mit denen man die Atmung, die Gehirnwellen und die Hautleitfähigkeit messen kann, sprich: die Aktivität der Schweißdrüsen. „Wenn man sehr aufgeregt ist, dann sind die sehr aktiv“, erklärt Kathrin Brunner, die gemeinsam mit Oliver Czeslik ebenfalls einen Hund hat. „Das heißt auch auf gut Bairisch: man schweißelt.“ Wenn man als Hundebesitzer plötzlich sehr ängstlich werde, erzählt sie, nähmen das die Hunde besonders intensiv wahr. „Wir haben in unserer Pasing-Situation eine Stelle, da geht unsere blinde Hauptperson über die Ampel und wir wissen, dass sie Angst vor den Elektroautos hat, die sie nicht hört. Und man sieht wirklich, wie ihre Schweißsäule neben dieser Ampel stehen bleibt. Das kann ich tatsächlich richtig wahrnehmen.“

Weil man aber trotzdem nicht im Kopf des Hundes steckt, sei das natürlich „unsere Interpretation, wie das aussieht“, erläutert Brunner. „Wir haben das mit Partikelwolken animiert. Aber ich glaube, man kann sich viel besser in einen Hund hineinversetzen, wenn man das mal so sieht.“ Was man auch sieht, ist, wie die blinde Hundebesitzerin durch Pasing läuft und wie sie gelaufen ist. „Also, man sieht eigentlich, wie die Zeit stehen bleibt. Hunde haben eine ganz andere Zeitwahrnehmung. Was ja auch im Film interessant ist: Wie bringe ich Raum und Zeit zusammen? Das kann ich anhand dieser Szene sehr gut verstehen.“

Noch genauer beschreibt Oliver Czeslik den „Hundeblick“: „Gehen wir in die Hundeperspektive, dann auch in die Höhe des Hundekopfes. Die Welt wird völlig entwässert, also die Farben werden viel, viel grauer.“ Denn Hunde sind rotgrünblind und „sehen nicht so farbig wie wir. Das hat eine ganz andere Schönheit.“

Um das möglichst realistisch darstellen zu können, haben Brunner und Czeslik mit Wissenschaftler*innen und Hunde-Expert*innen zusammengearbeitet. Und wie bei Mind The Brain! war auch die Firma Brainboost aus Zell in der Nähe von München beteiligt, die dort Brain-Computer-Interfaces für die medizinische Rehabilitation herstellt. Hinzukamen Laiendarsteller, die im Gegensatz zum Team nie wussten, was im Drehbuch steht. „Dadurch haben wir“, so Czeslik, „echte Emotionen gefilmt.“ Er und Brunner vergleichen das mit der Arbeitsweise von Regisseuren wie Ken Loach und Miloš Forman. „Das haben wir übertragen in VR, um auch so eine Brücke zwischen Kino und VR zu schlagen“, erzählt Czeslik. Da zeigt sich auch der berufliche Hintergrund. Oliver Czeslik arbeitet seit Jahrzehnten als Regisseur, Autor und Dozent im Film- und Theaterbereich. Kathrin Brunner war 20 Jahre lang im Video-On-Demand-Bereich für Firmen wie Maxdome tätig.

Während sie bei Mind The Brain! den bekannten Arthouse-Regisseur Fred Kelemen engagiert hatten, hat Czeslik bei I wanna be ur dog diesmal selbst Regie geführt. Er hatte vor Jahren auch die ursprüngliche Idee, die sah aber damals noch anders aus. Und zwar wollte der 59-Jährige schon lange die berühmte Performance I like America and America likes Me von Joseph Beuys nachstellen, der 1974 mehrere Tage mit einem Kojoten in einer Galerie in Manhattan verbrachte. Ein Kojote ließ sich aber nicht auftreiben und so kamen sie über ihren chinesischen Mauerhund Sammy auf die Alternatividee. Der Titel wiederum stammt vom gleichnamigen Stooges-Song. Interpretiert wurde der Protopunk-Song von 1969 als Ausdruck von verdeckter Wollust, Selbstverachtung und gesellschaftlicher Entfremdung. Und er wurde, wie Czeslik sagt, damals als „Provokation“ empfunden.

„Bei uns ist das weniger als Provokation gedacht, sondern wirklich als ein Mitempfinden“, so Czeslik. Gleichzeitig sei die Arbeit aber auch „im Sinne von Beuys“ als „radikale Infragestellung unserer sehr einfachen und beschränkten Weltsicht“ gedacht. „Wir versuchen in unseren Arbeiten die Menschen zu ermutigen, aus den geschlossenen Kreisläufen ihrer konditionierten Sichtweisen herauszutreten, um zu erkennen, wie viel mehr in uns steckt.“ Um damit auch „verantwortungsvoller mit uns und unseren Mitgeschöpfen zu existieren“. Wer einen Hund hat, kann ihn übrigens zu den Vorführungen beim DOK.fest München mitbringen. Denn wie schon in Miami seien dort „Bring your own dog“-Screenings geplant, verrät Brunner. Und sie erzählt dazu eine Anekdote aus Miami: „Es gibt eine finale Szene, da geht es um das gemeinsame Träumen zwischen Mensch und Hund. Und da ist tatsächlich ein Malteser genau in dieser Szene seinem Besitzer auf den Schoß gesprungen. Der fühlte sich seinem Hund, glaube ich, sehr nah, und das hat der Hund gespürt.“

Auch Hunde schätzen XR-Experiences, in denen Hunde vorkommen

Im Januar gab es dann noch eine Auszeichnung für ein ganz anderes FFF-gefördertes Projekt, an dem Myndstorm beteiligt war: Die Experience Duchampiana, bei der Duchamps Akt die Treppe nicht hinab-, sondern hinaufsteigt, von Regisseurin Lilian Hess, myndstorm productions und Tchikiboum, gewann den hochdotierten Eurimages New Lab Award – Outreach auf dem Rotterdamer Filmfestival.

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Jürgen Moises
Fotos: mYndstorm productions
Redaktion und Digital Storytelling: Dr. Olga Havenetidis
Gestaltung: Schmid/Widmaier

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