Das Regieduo hat sich während des Studiums in München kennengelernt: Camille Tricaud studierte Dokumentarfilmregie und Fernsehpublizistik an der HFF, Franziska Unger ist gelernte Architektin und bildende Künstlerin und bringt eine visuell-künstlerische Perspektive in die filmische Arbeit. Ralentir la Chute ist ihr drittes gemeinsames Filmprojekt. Mit Apocalypse Airlines (2020) haben sie zuvor den Short Tiger Award in Cannes gewonnen, mit ihrem zweiten Projekt Apocalypse Baby, We Advertise The End of The World (2021) waren sie Finalistinnen der Student Academy Awards.
Konventionen zu brechen, mit Bildern zu experimentieren, sie neu in Kontext zu setzen und dadurch zu reflektieren treibt die beiden Filmemacherinnen an, erzählt Camille Tricaud im Gespräch. Ralentir la Chute ist im Gegensatz zu den zwei Vorprojekten ein narrativer Spielfilm. „Dieses Mal wollten wir eine richtige Geschichte erzählen und nicht nur Bilder produzieren.“
Für einen Werbedreh vor der Kulisse eines prächtigen Alpenpanoramas treffen die beiden Spitzensportlerinnen Oceáne (Coline Mattel) und Ingeborg (Verena Altenberger) erstmals seit ihrer Trennung aufeinander. Die beiden Figuren stehen archetypisch für die zwei Generationen des Skisprungsports: Ingeborg gehört noch zur älteren Generation, die ihre Karriere abseits vom Selbstvermarktungsdruck begonnen hat, während sich die neue Generation um Océane bereits durch erhöhten Leistungsdruck und Stilisierung auszeichnet. Die Situation vor laufender Kamera öffnet eine Metaebene: Die beiden Sportlerinnen können sich nicht als sie selbst präsentieren; ihnen werden die Worte im Mund verdreht und sie werden für den Werbezweck instrumentalisiert. „In diesem Verhalten steckt etwas Gewaltvolles. Grenzen werden überschritten, die Menschen vor der Kamera werden nicht ernstgenommen und respektiert. Die sportliche Bewegung hingegen hat etwas Reines und Poetisches an sich“, sagt Camille Tricaud. „Der Spitzensport steht auch für Präzision und Fokus, während Werbung eine krasse Reizüberflutung darstellt. Diese Ambivalenz wollten wir thematisieren.“
Auffällig ist die Ästhetik des Films. Auch die gezeigten Totalen von den Bergen bieten etwas Gewaltvolles, eine Rohheit und Schönheit der Natur, konterkariert vor der stilisierten Werbewelt. „Mit genau solchen Motiven wollten wir spielen und die Situation überspitzen, gerade so, dass es nicht zu viel ist. Da wir eine Liebesgeschichte erzählen, haben wir uns auch vom Melodram inspirieren lassen, wir hatten Lust, mit dem Genre zu spielen: Die Kostüme, das Setting, die Dialoge, alles ist leicht übertrieben.“ Im Kontrast zu dieser konstruierten Inszenierung wurde auf 16mm gedreht. „Wir wollten dem Filmmaterial dadurch einen Wert geben: Es ist eben nicht berechenbar, dadurch erhält das Material eine lebendige Komponente, die wiederum abweicht von dem Werbesetting, in dem es genau um Perfektion geht.“