Eine Welt
für sich

Der FFF-geförderte Kurzfilm Ralentir la Chute (Englischer Titel: Slow Down The Fall) von Camille Tricaud und Franziska Unger, produziert von Benedetta Films, hat im Juni den Starter Filmpreis 2024 gewonnen. Zwei Skispringerinnen, ein ehemaliges Liebespaar, treffen während eines gesponsorten Werbedrehs wieder aufeinander.
von Daniela Graf
5 Minuten Lesezeit
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Das Regieduo hat sich während des Studiums in München kennengelernt: Camille Tricaud studierte Dokumentarfilmregie und Fernsehpublizistik an der HFF, Franziska Unger ist gelernte Architektin und bildende Künstlerin und bringt eine visuell-künstlerische Perspektive in die filmische Arbeit. Ralentir la Chute ist ihr drittes gemeinsames Filmprojekt. Mit Apocalypse Airlines (2020) haben sie zuvor den Short Tiger Award in Cannes gewonnen, mit ihrem zweiten Projekt Apocalypse Baby, We Advertise The End of The World (2021) waren sie Finalistinnen der Student Academy Awards.

Konventionen zu brechen, mit Bildern zu experimentieren, sie neu in Kontext zu setzen und dadurch zu reflektieren treibt die beiden Filmemacherinnen an, erzählt Camille Tricaud im Gespräch. Ralentir la Chute ist im Gegensatz zu den zwei Vorprojekten ein narrativer Spielfilm. „Dieses Mal wollten wir eine richtige Geschichte erzählen und nicht nur Bilder produzieren.“

Für einen Werbedreh vor der Kulisse eines prächtigen Alpenpanoramas treffen die beiden Spitzensportlerinnen Oceáne (Coline Mattel) und Ingeborg (Verena Altenberger) erstmals seit ihrer Trennung aufeinander. Die beiden Figuren stehen archetypisch für die zwei Generationen des Skisprungsports: Ingeborg gehört noch zur älteren Generation, die ihre Karriere abseits vom Selbstvermarktungsdruck begonnen hat, während sich die neue Generation um Océane bereits durch erhöhten Leistungsdruck und Stilisierung auszeichnet. Die Situation vor laufender Kamera öffnet eine Metaebene: Die beiden Sportlerinnen können sich nicht als sie selbst präsentieren; ihnen werden die Worte im Mund verdreht und sie werden für den Werbezweck instrumentalisiert. „In diesem Verhalten steckt etwas Gewaltvolles. Grenzen werden überschritten, die Menschen vor der Kamera werden nicht ernstgenommen und respektiert. Die sportliche Bewegung hingegen hat etwas Reines und Poetisches an sich“, sagt Camille Tricaud. „Der Spitzensport steht auch für Präzision und Fokus, während Werbung eine krasse Reizüberflutung darstellt. Diese Ambivalenz wollten wir thematisieren.“

Auffällig ist die Ästhetik des Films. Auch die gezeigten Totalen von den Bergen bieten etwas Gewaltvolles, eine Rohheit und Schönheit der Natur, konterkariert vor der stilisierten Werbewelt. „Mit genau solchen Motiven wollten wir spielen und die Situation überspitzen, gerade so, dass es nicht zu viel ist. Da wir eine Liebesgeschichte erzählen, haben wir uns auch vom Melodram inspirieren lassen, wir hatten Lust, mit dem Genre zu spielen: Die Kostüme, das Setting, die Dialoge, alles ist leicht übertrieben.“ Im Kontrast zu dieser konstruierten Inszenierung wurde auf 16mm gedreht. „Wir wollten dem Filmmaterial dadurch einen Wert geben: Es ist eben nicht berechenbar, dadurch erhält das Material eine lebendige Komponente, die wiederum abweicht von dem Werbesetting, in dem es genau um Perfektion geht.“

Der Entstehungsprozess hat insgesamt eineinhalb Jahre gedauert. Gedreht wurde an sechs Tagen in Oberstdorf. Während der Recherchearbeiten hat das Regieduo Coline Mattel kennengelernt, eine ehemalige Skispringerin und die Darstellerin von Océane. „Wir waren während der Stoffentwicklung viel mit ihr im Austausch, und irgendwann war es offensichtlich, dass sie die Rolle spielen würde. Verena Altenberger haben wir dann für die Rolle Ingeborg gecastet. Uns war wichtig, eine Person zu finden, die Kamerapräsenz hat und der man glauben kann, bereits am Ende einer Karriere zu stehen.“ Auch die Mehrsprachigkeit der Figuren ist für Unger und Tricaud ein wichtiges Element. „Der Spitzensport zeichnet sich aus durch Internationalität. Daher wollten wir eine Liebesgeschichte zeigen, die geprägt ist durch diese interkulturelle Dynamik. Ingeborg gibt ihre Muttersprache Deutsch auf und spricht mit Océane Französisch, das zeigt ihre Annäherung zu ihrer Ex, während Océane sich nicht darauf einlässt.“

Unger kommt ursprünglich aus Heilbronn, Tricaud aus Bordeaux. Bevor sie den Film gedreht haben, hatten beide keine Berührungspunkte mit den Bergen. „Wir wollten unbedingt ein Projekt dazu machen, weil der Spitzensport eine eigene Welt für sich ist, und wir fanden es auch etwas absurd, dass Sportlerinnen in ihrem Beruf den ganzen Tag springen. Im Gespräch mit Mattel haben wir dann gelernt, dass Springen nicht fliegen oder ‚frei sein‘ bedeutet, sondern der Versuch, mit ganzem Körpereinsatz den Fall zu verlangsamen. Daher kommt auch der Titel unseres Films.“

Für die Realisierung des Films war die Nachwuchsförderung des FFF Bayern notwendig: „Es hat uns ermöglicht, am recht teuren Drehort Oberstdorf zu drehen und das Team zu bezahlen. Das war uns sehr wichtig – vor allem, da es in unserem Film auch darum geht, wie Menschen benutzt werden.“ Allein die Zusage war schon ein gutes Gefühl: „Es ist toll, wenn Förderungen sich trauen, auch Filme zu unterstützen, die nicht ganz klassisch sind von der Machart und der Narration.“

Camille Tricaud hat mit Maximilian Bungarten und Felix Herrmann 2022 die Produktionsfirma Benedetta Films gegründet. Aus der Produktionsperspektive kann sie sagen, dass jede Förderung und jeder Preis als eine Form von Anerkennung auch gut für andere Projekte ist. „Wir freuen uns sehr, dass wir für Ralentir la Chute den Starter Filmpreis 2024 gewonnen haben. Das ist eine große Unterstützung, die auch Sichtbarkeit generiert.“ Als Regieduo wollen Tricaud und Unger weitermachen, aktuell haben die beiden zunächst eigene Projekte geplant. Tricaud arbeitet unter anderem an einem experimentellen Dokumentarfilm zum Thema Pflege. Das andere Projekt ist noch nicht offiziell, es soll eine Buch-Adaption von einem französischen Autor werden – ein weiteres Genre, mit dem Tricaud sich erstmals befasst. Das Experimentieren mit neuen Erzählmethoden geht also weiter.

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Daniela Graf

FotosBenedetta Films
Redaktion: Olga Havenetidis
Gestaltung und digitales Storytelling: Schmid/Widmaier

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