„Emotionale
Metapher für
die Familie“

Starter Filmpreis und Förderpreis Neues Deutsches Kino: Der Auftritt von Sonnenplätze beim Filmfest München war ein großer Erfolg für das junge Team. Als Kulisse diente die Vulkanerde auf Lanzarote. Der FFF Bayern hat das Projekt als kombinierten Abschluss- und Debütfilm gefördert.
von Daniela Graf
6 Minuten Lesezeit

„Sonnenplätze“ klingt nach Urlaub. Nach Tapas und Plastikstühlen. Nach Sehnsucht. Und vielleicht ist es auch die große Sehnsucht nach Anerkennung, die die Hauptfigur Sam (Julia Windischbauer) umtreibt. Ihr Vater Jo (Niels Bormann) ist ein ehemaliger Bestsellerautor, und Sam versucht alles, um ihm nachzueifern: Seit sieben Jahren schreibt sie an ihrem Debütroman Verbrannte Erde, doch ihre Verlegerin streicht nun das Nachwuchssegment. Zeitgleich geht Sams Situationship in die Brüche, und so steht sie geld- und wohnungslos bei ihrer Mutter Sybille (Juliane Köhler) vor der Tür. Sam nimmt unerlaubt die Schlüssel des Familienferienhauses auf Lanzarote, und will dort in Ruhe an ihrem Romanprojekt weiterarbeiten. Ihr Bruder Frederick (Jeremias Meyer) begleitet sie. Doch das Haus steht mittlerweile nicht leer, sondern Jo hat sich dort heimlich dauerhaft eingerichtet. Sybille reist mit ihrem neuen Partner Marc (Jeremy Mockridge) hinterher. Ein ungewöhnliches Ensemble trifft vor dem Hintergrund einer lebensfeindlichen Vulkanlandschaft aufeinander.

„Was, wenn sich ausgerechnet die Person, die einem vorlebt, wie das Leben sein soll, als jemand entpuppt, der diesem Ideal doch nicht entspricht? Das war für uns die zentrale Fragestellung für den Film“, sagt Autor und Regisseur Aaron Arens. Sams Illusion vom erfolgreichen Jo wird im Film sukzessiv gebrochen, und sie muss sich damit abfinden, dass ihr Idol gar nicht so toll ist, wie sie immer dachte.

Aaron Arens ist selbst in einer Familie von Kreativschaffenden aufgewachsen und kennt den inneren Konflikt der Hauptfigur, den Selbstwert vom Erfolg des eigenen Schaffens abhängig zu machen. Sonnenplätze ist sein Abschlussfilm an der Hochschule für Fernsehen und Film München. Insgesamt zweieinhalb Jahre hat er mit Lukas Loose an dem Drehbuch geschrieben. Die Produktionsfirma Maverick Film war schon früh am Entstehungsprozess beteiligt, jede Treatment-Fassung wurde intensiv besprochen. Kameramann Tobias Blickle hat 2022 für Sonnenplätze den Franz Kraus Production Award erhalten. Mit der Zusage vom BR und ARTE (Redaktion: Natalie Lambsdorff, Daniela Muck) als Koproduktionspartner und der zusätzlichen Kombi-Nachwuchsförderung Abschluss-/Debütfilm vom FFF Bayern in Höhe von 165.000 Euro wusste Arens, dass das Projekt wirklich realisiert wird: „Ich weiß, dass ich aus einer privilegierten Position heraus spreche, aber ich finde es unfassbar toll, dass es diese Nachwuchsförderung in der Form gibt und dass sie so gut funktioniert. Ohne alle diese Bausteine hätte der Dreh nicht stattfinden können und ich bin dankbar für das Vertrauen aller Parteien in ein junges Team, das sich noch nicht in der Branche etabliert hat, insbesondere, da wir einen Großteil der Dreharbeiten im Ausland durchgeführt haben.“

Insgesamt fanden 19 Drehtage auf Lanzarote statt und sechs weitere in München. Der Auslandsdreh war herausfordernd, eine Koproduktion vor Ort kam aus finanziellen Gründen nicht infrage. Also war Arens selbst im kleinen Team vorab auf Motivsuche; das Hauptmotiv wurde komplett mit Requisiten aus den gemieteten Unterkünften ausgestattet. Die Technik wurde in einer Sprinterkolonne aus Deutschland transportiert. Wegen einer Autopanne unterwegs hätten sie beinahe die Fähre verpasst, die nur einmal wöchentlich von Cadiz nach Lanzarote fährt. Auch die Drehbedingungen vor Ort waren teilweise unberechenbar, während eines Nachtdrehs ist plötzlich die Sicherung durchgebrannt.

Stromausfälle, verpasste Fähren – das sind auch Motive aus dem Film. „Ich glaube fest daran, wenn man etwas schreibt, passieren einem diese Sachen irgendwann selbst.“, sagt Arens. „Lukas hat beispielsweise die Szene geschrieben, in der Jo mit einem Gewehr auf imaginäre Wachteln schießt. Das ist natürlich ein extremes Bild, aber er hat damit die Tonalität des Films gefunden. Ein Jahr später haben sich zum ersten Mal Tauben auf meinem Balkon eingenistet und mich beinahe in den Wahnsinn getrieben. Das war bestimmt kein Zufall. Ich konnte die Figur Jo plötzlich so gut verstehen.“ Kleinere Details haben Arens und Loose nach realen Ereignissen übernommen: „Die Google-Bewertungen sind teilweise echt. Der Kreisverkehr auf Lanzarote wurde wirklich mit 4,9 Sternen bewertet. Das fanden wir so schräg, dass wir es verwenden wollten.“ Der Schreibprozess sei eben beides: „Man lässt sich vom realen Leben inspirieren und erlebt wiederum die Realität aus dem Drehbuch.“

Der Drehort war auch wegen der Witterungsbedingungen eine Herausforderung: „Wir haben Lanzarote als Motiv gewählt, weil wir die Insel in seiner Kargheit als lebensfeindlichen Ort repräsentieren wollten, „die verbrannte Erde soll als emotionale Metapher für die Familie stehen“, sagt Arens. Das erklärt auch die Hauptfigur Sam im Film ihrer Verlegerin, wird dabei aber unterbrochen. „Ausgerechnet kurz vor Drehstart hat es geregnet, und die ganze Insel blühte. Wir mussten Gärtner engagieren und unsere Kameraperspektiven gewissenhaft wählen. In den Totalen sieht man am Fuß der Vulkane, dass sie grün sind, wir haben das dann im Grading korrigiert.“ Auch eine geplante Szene in den Bergen hätte bei schlechten Wetterbedingungen nicht gedreht werden können. An dem Drehtag war es beinahe windstill. „Das war glückliche Fügung.“

Ein Highlight ist der Cast von Sonnenplätze. Arens hat Juliane Köhler bei einem Abendessen kennengelernt und konnte sich ihre pragmatische und klare Spielweise sofort für die Rolle Sybille vorstellen. Julia Windischbauer kannte er aus anderen HFF-Produktionen. „Julia ist so vielfältig und in jeder Rolle nicht wiedererkennbar. Da hat sofort etwas in mir geklungen.“ Im Konstellations-Casting war zwischen ihr und Jeremias Meyer sofort eine Verbindung spürbar, als seien die beiden wirklich Geschwister. „Ich frage mich immer: Wie schafft man es, einen warmen Film zu machen, ohne ihn weich zu machen? Durch die tolle schauspielerische Arbeit ist der Film leicht, und hat doch einen bissigen Humor behalten. Für mich ist es ein Riesenglück, dass alle Zeit und Lust hatten mitzumachen.“

Das Team bei der Premiere in der Reihe Neues Deutsches Kino beim Filmfest München

Sonnenplätze feierte Weltpremiere beim Filmfest München 2024. Der Film wurde für den Förderpreis Neues Deutsches Kino in allen vier Kategorien (Produktion, Regie, Drehbuch, Schauspiel) nominiert und gewann den Preis für das Drehbuch. Arens hat auch den Starter Filmpreis 2024 erhalten: „Diesen Preis haben schon so viele tolle Filmemacher*innen bekommen, ich kann es gar nicht fassen, dass ich ihn nun auch habe. Er ist wirklich perfekt für die Übergangsphase von der Hochschule ins Berufsleben.“            

Auch sein nächstes Projekt ist eine Eltern-Kind-Konstellation. Dabei soll es nicht um eine Desillusionierung der Elternfigur gehen wie bei „Sonnenplätze“, sondern vielmehr um eine „Annäherung nach der Entfremdung: eine 65-jährige Frau, die ihrem 35-jährigen Sohn zum Vorbild wird.“, sagt Arens. Das Projekt ist gerade in der Stoffentwicklung. Arens ist außerdem Schauspieler und Editor. Im Züricher Tatort hat er eine dauerhafte Nebenrolle im Ermittlerteam und er editiert derzeit den Abschluss-Debütfilm Bubbles von Sebastian Husak. „Gerade sind viele Projekte gleichzeitig angestoßen und ich bin glücklich, dass ich das alles parallel machen darf.“

Sonnenplätze läuft ab 22. August 2024 im Verleih von Filmwelt Verleihagentur in den Kinos.

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Daniela Graf
FotosFilmwelt Verleihagentur, Filmfest München / Ronny Heine
Redaktion: Olga Havenetidis
Gestaltung und digitales Storytelling: Schmid/Widmaier

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