ES
MUSSTE
NIE
KAVIAR
SEIN

Er gilt als Legende, als Visionär, als Architekt der Film- und Fernsehgeschichte. Günter Rohrbach zum 95.
Von Gabriele Pfennigsdorf
Gabriele Pfennigsdorf mit Günter Rohrbach

Der große Architekt der deutschen Film- und Fernsehgeschichte ist 95 Jahre alt geworden. Eine ganz ordentliche Wegstrecke ist er gegangen. Gemessen daran war die Zeit unserer Zusammenarbeit dann doch nur kurz bemessen, wenngleich eine wichtige. Lang ist das jetzt her und beim Erinnern an diesen Lebensabschnitt spürt man doch unweigerlich auch die vielen Veränderungen, die sich in unserer Lebens- und Arbeitswelt ereignet haben. Manches erscheint nicht mehr zeit­gemäß, anderes aber gleichwohl lebendig und immer noch richtig.

 

Rohrbach ist ein
Meister der Worte

 

Rohrbach selbst würde wegen seines Geburtstages kein großes Aufheben machen wollen. Zumindest war es damals so, als ich mich 1980 bei ihm um die Position der Chefsekretärin für den Geschäftsführer der Bavaria Film Studios in Geiselgasteig bewarb. Dennoch habe ich es zumindest zu einem Teil meinem Geburtsdatum zu verdanken, dass er sich für mich entschieden hat, davon bin ich überzeugt.

Rohrbach war vor kurzem auf den Chefsessel des renommierten Studiobetriebs gewechselt. Zuvor war er Leiter der Hauptabteilung Fernsehspiel beim WDR in Köln. Seine damalige Mitarbeiterin, die er schätzte, war wie ich an einem späten Tag im Oktober geboren. Rohrbach mochte ungern Veränderungen und wertete diesen Umstand offenbar als gutes Omen.

Berlin Alexanderplatz

Für mich in der Folge war dies der glückliche Einstieg in eine neue, faszinierende Welt. Acht Jahre durfte ich sein Vorzimmer dirigieren, organisierte unzählige Termine mit Persönlichkeiten, die Filmgeschichte geschrieben haben. Rohrbach, ein wahrer Meister der Worte, legte diese auch gerne auf die Goldwaage, denn ein geschriebenes Wort das bleibt. Und es wurden damals sehr viele Briefe geschrieben, von ihm stundenlang in den Block diktiert, redigiert und dann erst zum Empfänger entlassen. An vorschnelles oder gar unterüberlegtes Handeln kann ich mich nicht entsinnen, aber auch nicht daran, dass wichtige Dinge allzu lange unerledigt blieben.

 

Unter seiner Ägide entstand
das Format „Tatort“

 

In den nächsten Monaten und Jahren durfte ich Rohrbachs große Filmfamilie kennenlernen. Vielen ist er auch in den Bavaria Jahren treu geblieben. Mit seinen früheren Mitstreitern beim WDR pflegte er weiterhin enge Kontakte. Dazu gehörten Gunther Witte, der beim WDR unter seiner Ägide das Format Tatort entwickelte. Oder Joachim von Mengershausen und Wolf-Dietrich Brücker. Einen seiner liebsten, Peter Märthesheimer, holte er als Produzent zur Bavaria. Bei den Autoren waren es vor allem Wolfgang Menge oder Tankred Dorst. Mit vielen Regisseuren*innen aus der WDR Zeit hat er die kommenden Jahre weiterhin Filme produziert. Obwohl – Regisseurinnen waren es damals nur sehr wenige, fällt mir auf. Aber es waren tatsächlich ganz andere Zeiten und diese Schieflage war seinerzeit einfach kein Thema.

Die wilden Fünfziger

In den frühen Achtzigerjahren entstanden etwa Berlin Alexanderplatz von Rainer Werner Fassbinder, Die wilden Fünfziger von Regie Peter Zadek, Väter und Söhne von Bernhard Sinkel oder Ödipussi von Loriot. Zu vielen Filmkünstlern wie Edgar Reitz, Dominik Graf oder Helmut Dietl, um nur einige zu nennen, hielt Rohrbach ständigen Kontakt. Am herausra­gends­ten aber war die Zusammen­arbeit mit Wolfgang Petersen, mit dem er 1979 zu WDR-Zeiten den Film Die Konsequenz realisierte.

Der Film polarisierte und führte dazu, dass sich der BR bei der Erstaus­strahlung des Films am 08.11.1977 aus dem ARD Programm ausklinkte. Heute schwer denkbar und wie schön, dass Rohrbach gut 20 Jahre später 1999 für sein Lebenswerk den Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten erhielt.

Väter und Söhne

Ödipussi

Die Konsequenz

In diesen Bavaria-Jahren lag auch die Zusammenarbeit mit den damaligen Produzentenpersönlichkeiten, die das Kinoschaffen jener Zeit bestimmten. Darunter Luggi Waldleitner, Horst Wendlandt und Buba Seitz. Allen voran aber war es die sehr enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Bernd Eichinger, mit dem Rohrbach seinen größten Erfolg Das Boot realisierte. Es war die Zeit der täg­lichen Telefonate mit dem Romanautor Lothar Günther Buchheim, viele auch heftige Auseinandersetzungen, die aber immer auf hohem Niveau geführt wurden. Auch in den schwierigsten Momenten habe ich Rohrbach nie rück­sichtslos, nachtragend oder gar boshaft erlebt. Es ging immer um die Sache, um Lösungen und einen tragbaren Konsens. Das soll nicht heißen, dass Rohrbach nicht allzu gerne seine eigenen Vorstellungen durchsetzen wollte. Oft ist ihm dies auch gelungen. Auch wenn empörte Schauspieler wie zum Beispiel Christian Doermer eine Forderung um jeden Preis durchsetzen wollten und zu diesem Zwecke das Vorzimmer blockierten. Mit dem Satz: „keine körperliche Gewalt“ rettete Rohrbach die Situation und schlug die Tür hinter sich zu. Zumindest in meiner Erinnerung.

DAS BOOT
Directed by WOLFGANG PETERSEN,

Foto Copyright: Bavaria Film/Karlheinz Vogelmann

Die Entstehung des Films Das Boot war eine extrem schwierige Zeit, in der es um’s Ganze ging. Das finanzielle Risiko, das die Gesellschafter der Bavaria seinerzeit mittragen mussten, war enorm. Wie heute erinnere ich mich an die Uraufführung 1981 im Mathäser in München. Rohrbach hatte große Angst vor einem Misserfolg, der – davon ging ich aus – auch Auswir­kungen auf seine persönliche Karriere gehabt hätte. Der Film war dann zwar ein Erfolg im Kino, hatte aber auch negative Kritiken. Besonders ent­täuschend war, dass die damals zuständige Export-Union des deut­schen Films sich 1992 nicht dazu entschließen konnte, den Film ins Rennen für den besten ausländischen Film zu schicken. Rohrbach und seine Mitstreiter glaubten fest an den Erfolg des Films auch im Ausland. Und sie sollten recht behalten. Es war eine Genugtuung, dass der Film, der auch in Amerika startete, sechs Oscar-Nominierungen erhielt.

Die Apothekerin

Rohrbach ist bis 1994 bei der Bavaria geblieben und arbeitet seitdem als freier Produzent. Viele weitere Produktionen wie Die Apothekerin von Rainer Kaufmann oder Aimée & Jaguar von Max Färberböck, und Die weiße Massai von Hermine Huntgeburth sollten sich anfügen.

Die Liste von Rohrbachs Auszeichnungen ist unendlich lang. Seine Geburtsstadt Neunkirchen ehrt ihren erfolgreichen Sohn seit 2011 mit dem „Günter Rohrbach Filmpreis“. Seine Wahlheimat München hat ihm 2017 für seine Verdienste den Kulturellen Ehrenpreis verliehen. Günter Rohrbach hat wahrlich ein Lebenswerk von beachtlicher Größe geschaffen.

Kultureller Ehrenpreis, Foto: 2018 Birkenholz

Für mich ist Günter Rohrbach der mit Abstand jüngste 95jährige den ich kenne. Auch wenn ich ihn nur noch sehr selten treffe, so scheint mir bei diesen Anlässen seine Frische und Beweglichkeit ungebrochen. Das mag an seinen guten Genen liegen. Auch seine Eltern hatten, soweit ich mich erinnere, eine robuste Gesund­heit bis ins hohe Alter. Weiterhin schreibe ich es seiner großen Disziplin zu, einer regelmäßigen und auch genügsamen Lebensführung. Da ist seine Schwimmlust, die ihn bei jedem Wetter ins Freibad treibt, so gut wie kein Alkohol und jeden Tag wenigstens einen Apfel. Für Rohrbach ist eine al dente gekochte gute Nudel mit hervorragender Tomatensauce, gereiftem Parmesan und etwas Basilikum eine völlig ausreichende, genussvolle Mahlzeit. Es musste nie Kaviar sein. Seine geistige Beweglichkeit und sein immenses Wissen liegt sicher auch an seinem Buchkonsum. Er liest unglaublich viel und auch mehrere Bücher nebeneinander. Und immer wieder schreibt er, wenn er meint, sich einmischen zu müssen. Der in diesem Jahr verstorbene Hans Helmut Prinzler, ehemals Direktor des Film­museums in Berlin, hat 2008 für die Deutsche Filmakademie ein Buch mit seinen Texten herausgegeben. Es lohnt sich auch heute, darin zu lesen, und es bleibt zu hoffen, dass noch viele Texte folgen werden.

Aimée & Jaguar

Ein kritischer Geist ist Rohrbach ungeachtet aller Veränderungen, die sich zwangsläufig ergeben haben und auch mussten, jedenfalls geblieben. Ob sich für ihn persönlich in seinem Leben vieles verändert hat oder ob er bei seinen Gewohnheiten geblieben ist? Da ich Rohrbach für eine treuen Menschen halte, denke ich, so manches mag geblieben sein. Auch vermute ich, dass er große Verände­rungen noch immer nicht besonders schätzt und stattdessen gerne am bewährten und beständigen festhält. Wenigstens der tägliche Apfel, der für seine Gesundheit sorgt, der sollte doch geblieben sein? Aber wer weiß, vielleicht ist der große Architekt der deutschen Film und Fernseh­ge­schichte heute ein anderer geworden. Jung dazu geblieben wäre er ja, um sich auf jedwede Veränderungen einstellen zu können. Aber nur, wenn er dies denn tatsächlich wollte. Von daher ist – das sei gestattet – zumindest eine gewisse Skepsis angebracht.

Regisseurin Hermine Huntgeburth am Set
von „Die weiße Massai“

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Gabriele Pfennigsdorf
Redaktion: Dr. Olga Havenetidis
Digitales Storytelling und Gestaltung: Schmid/Widmaier

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