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Um inklusivere Strukturen in der deutschen Filmindustrie zu diskutieren, veranstaltete das Filmfest München mit der Evangelischen Akademie Tutzing vom 28. bis 30. November 2023 die FFF-geförderte Tagung „Teilhabe im Film (Vol.2)“. Dabei ging es auch um die Frage, was sich seit der ersten Tagung im März 2022 an Teilhabe entwickelt hat.
von Wenke Bruchmüller
5 Minuten Lesezeit
Copyright: Bojan Ritan / FILMFEST MÜNCHEN

Ein zweites Mal diskutierten und vernetzten sich Branchenvertreter und Filmschaffende in Tutzing am Starnberger See in Vorträgen, Workshops, Filmvorführungen und Podiumsdiskussionen über die Zukunft der Filmbranche in Sachen Teilhabe. Auch interessierte Laien konnten sich für die Tagung anmelden. Der Hintergrund: Immer noch sind Minoritäten, queere Personen und auch Frauen vor und hinter der Kamera nicht adäquat repräsentiert. Ob in der Narration, indem zum Beispiel Migrant*innen stereotype eindimensionale Rollen verkörpern. Oder durch die vorhandenen Strukturen, wie durch die Besetzung von Entscheider*innen, die nach Ansicht vieler Teilnehmer*innen der Tagung ebenfalls noch nicht das Abbild der gegenwärtigen Gesellschaft spiegelt. Die daraus abgeleitete Folge: Auf der großen Leinwand oder auf dem Endgerät zuhause würden wir die immergleichen Geschichten sehen. Stimmen von etwa BIPoC oder queeren Filmemacher*innen seien zu wenig repräsentiert oder würden gar diskriminierend dargestellt.

In Tutzing ging es immer wieder um zwei Probleme: Dass es erstens nicht sein kann, dass eine essentielle Antidiskriminierungsarbeit oft nur ehrenamtlich stattfindet. Und zweitens, dass es für mehr Teilhabe im Film mehr als nur Worte auf schillernden Diversitäts-Panels mit großer Reichweite oder kurzfristigen diskriminierungskritischen Workshops braucht. Oft laufen solche Panels Gefahr, eine Art Diversitäts-Washing zu betreiben, wenn zum Beispiel nach einem Antirassismus-Workshop „wichtige Transferleistungen in die Praxis der Filmbranche nicht stattfinden.” Denn „danach geht die Arbeit, um die Strukturen inklusiver zu gestalten, normalerweise erst richtig los“, so Filmregisseur, Drehbuchautor sowie Initiator der Queer Media Society Kai S. Pieck, der ebenfalls an der Tagung in Tutzing teilnahm.

Nach dem Auftakt mit einer Filmvorführung von Merle Grimmes FFF-gefördertem Debütfilm Clashing Differences ging es am nächsten Tag zunächst darum, was seit dem ersten Treffen bei der Konferenz in Tutzing vor eineinhalb Jahren passiert ist. Fatih Abay, Diversity, Equity & Inclusion Officer der European Film Academy (EFA), die 1989 hauptsächlich von männlich weiß gelesenen Filmschaffenden gegründet wurde, hat seine Stelle im Juni 2022 angetreten – sie wurde im Anschluss an die erste Tutzinger Tagung neu geschaffen.

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Dass auch die reinen Strukturen der Branche benachteiligend sein können, erkannte die European Film Academy durch den neuen Direktor und Geschäftsführer Matthijs Wouter Knol, der seit 2021 die EFA leitet. Bis vor kurzem war ihr Vorstand überproportional westeuropäischen besetzt; die Interessen von osteuropäischen Filmen oder indigenen Perspektiven waren weniger beziehungsweise gar nicht vertreten. Dieses Ungleichgewicht ändert die EFA gerade: Seit 2024 wird die Zusammensetzung des Vorstands neu strukturiert, indem 15 Regionen festgelegt werden, die dann Vertreter*innen in den Vorstand schicken. Darüber hinaus ist einer der Sitze im Vorstand für eine*n transnationale*n ethnische*n Vertreter*in reserviert. Das erste Mandat für diese Position wird mit einem gewählten Mitglied aus der sámischen Bevölkerung werden. Der Vorstand sei dadurch für die Mitglieder der European Film Academy repräsentativer und die Interessen der zu vertretenden Länder gleichberechtigter.

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Auch Benita Bailey und Sophya Frohberg legten dar, was das Netzwerk Schwarze Filmschaffende e.V. seit der ersten Teilhabe-Tagung bewirken konnte. „Das ehemalige Netzwerk ist nun als Verein eingetragen,“ so Benita Bailey, die als Schauspielerin und Filmemacherin den Verein mitgründete.

Der Regisseur Duc Ngo Ngoc stellte mit dem von ihm gegründeten Workshop „Dreh’s um“ eine Filmbildungs-Initiative vor, die jungen Deutsch-Vietnames*innen niedrigschwelligen Zugang zur Filmproduktion ermöglicht. Für den Workshop drehen die Teilnehmenden dokumentarische Kurzfilme über Identitätsthemen mit dem Ziel, den „Filmnachwuchs in Deutschland zu fördern, um eine diverse Teilhabe an Filmhochschulen zu ermöglichen und Diversität langfristig in der Branche zu stärken,“ so Ngo Ngoc. 

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Apropos, Filmuniversität: Netflix & die MaLisa Stiftung schufen die Stelle Diversity & Inclusion Strategy Manager für deutsche Filmhochschulen, die Aida Begović und Lucca Veyhl gemeinsam besetzen. Extern beraten beide deutsches Filmhochschul-Personal, damit die Hochschulen inklusiver werden.

Mit dem vom FFF Bayern mitgestalteten Gesprächsformat „Data Diversity“ ging es in Tutzing auch um die Gefahr von Fehlern in der Datenerhebung in populären Medien, aufgrund von Bias-generierten Daten. Wie im amerikanischen Videospiel Grand Theft Auto, in dem Neben-Spielfiguren stereotyp gestaltet sind. Zudem ging es unter anderem um die von Künstlicher Intelligenz generierten Image Captions, die den Konsument*innen politische Minoritäten oft vorenthalten, indem sie sie nicht als Daten in der Bildbeschreibung aufnehmen

Das vom FFF Bayern initiierte Format „Meet the Funders“ diente am zweiten Abend dazu, die anwesenden Filmschaffenden mit Förderinstitutionen aus ganz Deutschland zusammenzubringen. Alle, sowohl die Vertreter*innen der Förderungen als auch die Filmschaffenden, hatten die Aufgabe, sich mit mindestens drei Personen zu unterhalten und sich spezielle Notizen zur weiteren Vernetzung zu machen, falls eine solche, etwa aufgrund eines konkreten Film- oder Serienprojekts, erwünscht war.

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Nach zwei Tagen endete die Tagung mit der großen Frage: „Wie geht es weiter?” Einige Teilnehmer*innen berichteten, sie seien in Sachen Diversity so aktiv in Workshops und auf Panels, dass sie gar nicht zu ihrem eigentlichen Beruf kämen, als Darsteller*innen etwa oder als Autor*innen. Merle Grimme betonte, wie wichtig es sei, „soft-skill-Effekte“, also Sensibilität für Teilhabe in allen Positionen bei der Produktion zu haben anstatt die unrealistische Erwartungshaltung, allein durch ein diverses Team, Diskriminierungen partout ausschließen zu können: “Wir müssen verstehen, dass Diversität in der Besetzung und die Etablierung von antidiskriminierenden und inklusiven Produktionsstrukturen zwei unterschiedliche Dinge sind. Eine diverse Besetzung verändert noch nichts an den bestehenden Strukturen, die Diskriminierung und Ausschluss begünstigen können. Aber sobald die Strukturen kritisch betrachtet und verändert werden, ergibt sich die diverse Besetzung bei Team und Cast von ganz allein.”

Copyright: Bojan Ritan / FILMFEST MÜNCHEN

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Wenke Bruchmüller
Fotos: Internationale Münchner Filmwochen GmbH/ Bojan Ritan
Redaktion und digitales Storytelling: Dr. Olga Havenetidis
Gestaltung: Schmid/Widmaier

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