GREN­ZEN­LOSE
KÖRPER

Der Leistungssport wird von Normen bestimmt. Auf dem Siegertreppchen zu stehen bedeutet, Vorgaben zu erfüllen oder zu übertrumpfen. In ihrem FFF-geförderten Film Life is not a competition, but I’m winning, der in Venedig uraufgeführt und beim First Steps Award ausgezeichnet wurde, erforscht Regisseurin Julia Fuhr Mann eine andere Idee – ein kollektives Miteinander
Von Christina Raftery

Worin besteht der filmische Blick auf Körper? Welche Rolle spielen Gender­kategorien und was, wenn die Grenzen fließend sind? In ihrem Dokumentarfilm Life ist not a competition, but I’m winning beleuchtet die Münchner Regisseurin Julia Fuhr Mann einen Bereich, in dem die Einordnung von Körpern eine ent­scheidende Rolle spielt – die Welt des Leistungssports. Dass dort alles möglichst messbar und scheinbar objektiv sein muss, prägt nicht nur sportliche Biografien, sondern auch das Körperverständnis der Zuschauenden. „Die Art, wie wir die Körper von Leistungssportler*innen wahrnehmen, entsteht in den wenigstens Fällen in Stadien, sondern über Medien“, erklärt Produzentin Sophie Ahrens.

„Die Kameras sind immer da, fangen die Körper ein und schwenken sie von oben bis unten ab. Wir haben nach spielerischen Wegen gesucht, diese Sehgewohnheiten zu brechen und neue auszuprobieren.“

Mit ihrer in Berlin und Bad Endorf ansässigen, aus einem Künstler*innen-Kollektiv hervorgegangenen Produktionsfirma Schuldenberg Films integrieren Sophie Ahrens, Melissa Byrne und Fabian Altenried Ansätze aus mehreren Künsten. In ihrer „diversen, feministischen und progressiven“ Ausrichtung hat auch Selbstironie ihren Platz: „Wir machen unserem Firmennamen alle Ehre“, so Ahrens schmunzelnd. Mit Life ist not a competition, but I’m winning kam zur Ehre noch der Ruhm: Der Film war in die Critics Week des Filmfestivals von Venedig eingeladen, erhielt beim First Steps Award den Michael-Ballhaus-Preis für die beste Kamera (Caroline Spreitzenbart), war Gewinnerfilm beim ARRI Production Award und wurde mit dem British Pathé Archive Award auf dem Dok.Fest München ausgezeichnet.

Auf „Augenhöhe mit den Protagonist*innen“, so Sophie Ahrens, begleitet der Film Amanda Reiter, eine trans Marathonläuferin aus der bayerischen Provinz, die sich mit Vorurteilen von Sportevent-Veranstalter*innen auseinandersetzen muss, sowie Annet Negesa, eine 800-Meter-Läuferin aus Uganda, die von den internationalen Sportverbänden zu einer hormonverändernden Operation gedrängt wurde.

In knappen Worten und in beeindruckenden Einstellungen erzählen sie von den beengenden Geschlechtervorstellungen der Sportwelt und ihren Versuchen, sich von ihnen zu befreien. Ihre Biografien stehen jedoch nicht im Vordergrund: „Im Leistungssport geht es immer darum, dass Körper Grenzen überschreiten“, so Julia Fuhr Mann. „Wir haben viel mit den Protago­nist*innen über ihr Erleben gesprochen, aber beschlossen, nur kurz zu benennen, was passiert ist, und nicht zu sehr in die Vergangenheit einzutauchen.“ Stattdessen spricht in diesem Film die Ästhetik der Bilder, in Zeitlupen, in historischem Archiv­material und in fiktiven Szenen einer Utopie; ein Kollektiv aus queeren Athlet*innen reflektiert darin Alternativen zum bisherigen Wett­kampf. Mit der Zeitreise dieser bunten Crew durch vergangene Olympiaden in Schwarzweiß und Orte wie die Olympiastadien in Athen oder Berlin betont Julia Fuhr Mann den subjek­tiven Blickwinkel auf Geschichte. Im Betrachten der früheren Ausnahme­sportler*innen lässt sie Verbundenheit entstehen:

„Damit, dass sie nicht in die Kategorien passten oder dass sie manchmal ‚allzu‘ feminin oder maskulin wirkten, wollten wir sie nicht allein lassen. Sie sollten Menschen an die Seite bekommen.“

Als Aktivistin engagiert sich Julia Fuhr Mann bei ProQuote und kuratiert Filme für das Frauenfilmfestival Bimovie. Life ist not a competition, but I’m winning ist ihr Abschlussfilm an der HFF München, wo sie ihr persönliches Verständnis von Dokumentarfilm vertiefen konnte: „In der klassischen Form wird das Leiden Anderer gezeigt, dann sitzt man da und hat Mitleid, verbleibt aber in diesem Gefühl. Ich hatte den Wunsch, darüber hinauszugehen. Das Leid zwar zu zeigen und anzuerkennen, Leistung zu ehren und gleichzeitig etwas gegen­über zu setzen – eine Neugestaltung und andere Idee, wie Sport und Wettkampf aussehen könnten.“ Dabei gehe es ihr und Sophie Ahrens nicht um neue Richtlinien: „Wir sind keine Sportsoziologinnen“. Sondern: Es geht um neue Fragen:

„Wenn die Geschichte von den Siegern geschrieben wird, wo bleiben dann all jene, die nie an den Spielen teilnehmen durften?“

Spiel-Raum gibt Julia Fuhr Mann ihrem queer-feministischen Kollektiv auf vielen Ebenen. In starken Bildern von Kraftsammeln und Kraftausüben, die den Körperkult der Sportästhetik aufgreifen, bewegt sich der Film jenseits starrer Geschlechterbilder zwischen Dokumentation und Essay. Staunend betrachtet das Kollektiv die Konsequenzen erzwungener Geschlechterbilder und Bestrebungen, Menschen gewaltsam in feste, angeblich „natürliche“ Gruppen einzuteilen. Held*innen-Geschichten, allerdings anders erzählt: Als Utopie gemeinschaftlicher Transformation – in leuchtenden Farben und Cinemascope.

„Eine mal poetisch, mal militant anmutende Geschichtsstunde zwischen Revision und Vision“, urteilte die Jury des diesjährigen First Steps Awards über den „ungewöhnlichen Hybrid“.

In einer Gesellschaft, in der feste Definitionen auslaufen, es aber gleichzeitig Sehnsucht nach neuer Verbindlichkeit gibt, verändert Life ist not a competition, but I’m winning den Blick auf das Massenphänomen Sport – um es auf neue, absichtlich unbequeme, aber dringende Weise sicht-, spür- und veränderbar zu machen.

Der FFF-geförderte Dokumentarfilm Life is not a competition, but I’m winning von Julia Fuhr Mann (Produktion: Schuldenberg Films, HFF München, ZDF und 3sat) startet am 14.12.2023 im Verleih von Cineglobal im Kino. Die Ausstrahlung auf 3sat ist für den 18. Juli 2024 geplant – eine Woche vor Beginn der Olympischen Sommerspiele in Paris.

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Christina Raftery
Redaktion: Dr. Olga Havenetidis
Digitales Storytelling und Gestaltung: Schmid/Widmaier

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