Grüner
wird’s
jetzt

In Deutschland werden viele Filme und Serien nachhaltig gedreht. Inhaltlich kommen Klimawandel und Umweltschutz aber erst seit kurzem an, zumindest in fiktionalen Filmen und Serien. Eine Bestandsaufnahme
von Kathrin Hollmer
9 Minuten Lesezeit

Plastikbecher im Restmüll? Geht gar nicht! Als Chantal, gespielt von Jella Haase, im Kinofilm Chantal im Märchenland ihren Saftbecher in die nächste Mülltonne schmeißen will, weist sie ein junges Mädchen zurecht. „Wieder eine Umweltsünderin, die falsch trennt und unseren Planeten verseucht“, sagt sie zu ihr, während sie die Szene mit ihrem Smartphone filmt. Das FFF-geförderte Spin-off der erfolgreichen Reihe Fack ju Göhte spielt größtenteils in einer Fantasy-Welt, doch so viel realer Gesellschaftskommentar muss sein. Chantal ruft erst „Chill‘ mal!“ und entsorgt dann vorbildlich separat Plastikbecher und Strohhalm, bevor sie ein Zauberspiegel ins titelgebende Märchenland katapultiert.

Die Filmbranche in Deutschland will umwelt- und klimabewusster werden. In den vergangenen Jahren wurden Initiativen gegründet, Selbstverpflichtungen und Checklisten für „grüne“ Produktionsbedingungen und Drehbücher erstellt. Klimaschutz und Nachhaltigkeit werden manchmal nebenbei thematisiert, mal platter, in Form von radelnden Fernsehkommissar*innen oder Geschäftsleuten, die ihren Coffee to go aus dem Mehrweg- statt Pappbecher trinken, mal subtiler.

„Green Storytelling“ nennt man das. Dazu gehören auch Filme und Serien, die sich explizit mit den Auswirkungen des Klimawandels befassen, wie im vergangenen Jahr die FFF-geförderte Serie Eine Billion Dollar (Paramount+), in der ein Berliner Fahrradkurier ein enormes Erbe erhält und damit die Welt unter anderem vor der Klimakatastrophe retten soll.

In der ebenfalls FFF-geförderten Thriller-Serie Die Saat (ARD) verschwindet ein Umwelt-Aktivist auf Spitzbergen.

Diese Entwicklung ist neu. Anders als in Dokumentarfilmen und Reportagen kam die Klimakrise lange Zeit kaum in fiktionalen Filmen und Serien aus Deutschland vor. Im vergangenen Jahr widmeten sich mehrere Produktionen dem Thema: Im Fernsehfilm Klima retten für Anfänger (ARD) bringt eine Schülerin ihre Familie dazu, nachhaltiger zu leben. In der improvisierten Mini-Serie Tod den Lebenden (ARD) bewaffnet sich eine polyamore Berliner WG, um gegen den Klimawandel zu kämpfen. Die Serie A Thin Line (Paramount+) portraitiert Zwillingsschwestern, die auf einer Plattform Umweltverbrechen aufdecken, und die Dramedy-Serie Aufgestaut (ZDF) eine Gruppe junger Klimaaktivist*innen.

Marianne Wendt und ihr Mann Christian Schiller haben die FFF-geförderte Serie Wer wir sind entwickelt und geschrieben, die im November 2023 im Ersten und in der ARD-Mediathek lief. Darin geht es um jugendliche Umweltaktivist*innen in Halle an der Saale, die Konflikte mit ihren Eltern und ihre zunehmende Radikalisierung. „Wir haben darüber nachgedacht, welche Welt wir als Eltern unserem Sohn und dessen Generation hinterlassen“, sagt Marianne Wendt zur Entstehungsgeschichte. Die Serie polarisiert. „Natürlich gibt es Kommentare wie ‚linksgrünversiffte Propaganda‘, aber eben auch Jugendliche, die uns schreiben, dass sie die Serie mit ihren Eltern gesehen haben und weiterdiskutieren“, erzählt Marianne Wendt. „Das ist für uns das schönste Feedback.“

In der FFF-geförderten Serie „Wer wir sind“ geht es um jugendliche Umweltaktivist*innen in Halle an der Saale, die Konflikte mit ihren Eltern und ihre zunehmende Radikalisierung

Auch wenn Klima und Umwelt in jüngster Zeit häufiger in der Fiktion thematisiert werden, insgesamt nimmt das Thema noch wenig Raum ein. „In Filmen und Serien sehen wir Lehrer*innen, Architekt*innen, aber keine Wärmepumpeninstallateur*innen“, sagt Marianne Wendt. „Die Fiktion verpasst gerade, den Istzustand zu thematisieren. Es werden immer noch Weihnachtsfilme gedreht, für die in der Postproduktion Wiesen beschneit werden, obwohl die Realität längst anders aussieht.“

Wie viel Bedeutung die Klimakrise bekommt, ist eine Generationenfrage. „Die 90-er Jahre, in denen ich aufgewachsen bin, waren voller Verheißungen von Freiheit, die das Auto bringt“, sagt Marianne Wendt. „Diese Tradition schreiben wir unreflektiert fort. Deswegen sehen wir in Filmen bis heute Helden, die in coole Autos steigen und die Welt retten.“ Das gilt nicht nur für James Bond; in nahezu jedem Krimi sieht man über lange Strecken Kommissar*innen, die in ihren Autos telefonieren, Verdächtige observieren und verfolgen. 

Wie wenig präsent dagegen der Klimawandel ist, bestätigte im vergangenen Jahr eine Studie zur Repräsentation und Rezeption von Klimawandel und Biodiversität im Fernsehen, die von der MaLisa-Stiftung initiiert und gefördert worden ist und deren Ergebnisse in München präsentiert und diskutiert wurden. Der Studie zufolge nehmen zwar mehr als 40 Prozent der Befragten das Thema Klimawandel als präsent wahr, acht Prozent sogar als extrem präsent. Tatsächlich war der Klimawandel aber in nicht einmal zwei Prozent der Sendeminuten im analysierten Programm Thema, Biodiversität sogar in nur 0,2 Prozent der Sendeminuten. Untersucht wurden die Programme von 20 deutschen Fernsehsendern im September und Oktober 2022. Die Erhebung zeigte auch: Mehr als 60 Prozent der Befragten wünschen sich, dass der Klimawandel zukünftig häufiger Thema im Fernsehen ist.

Geschichten, in Form von Filmen und Serien, berühren, sie prägen unser Bild von der Welt, schaffen Begehrlichkeiten und regen zum Handeln an. Die Klimakrise bewegt die Menschen, auch Filmschaffende wollen darauf reagieren. Hinter der Kamera klappt das schon besser als davor. Unter anderem die FFF-geförderte Krimikomödienreihe um den Kommissar Eberhofer wurde beispielsweise grün gedreht, ebenso die geförderten Sky-Serien Der Pass und 8 Tage. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Initiativen für nachhaltige Produktionsbedingungen unter anderem in Sachen Energieversorgung, Catering und Müllvermeidung. 2019 entwickelte der Deutsche Produzentenverband eine freiwillige Selbstverpflichtung für grünes Drehen, inzwischen haben die Ökologischen Standards des Arbeitskreises Green Shooting diese abgelöst. 2020 startete die Schauspielerin Pheline Roggan mit Kolleg*innen die Initiative ChangeMakers.film für mehr Klimaschutz am Set. Der FFF Bayern unterstützt und fördert Produktionsfirmen bei der Umsetzung umweltschonender und klimafreundlicher Maßnahmen.

Einer der Pionier*innen auf dem Gebiet ist der Münchner Regisseur, Producer, Autor und Dozent Philip Gassmann. Er ist in Straßburg aufgewachsen und sagt, die Umweltbewegung der Siebzigerjahre habe seine Jugend geprägt. 1978 eröffnete er als Schüler einen der ersten Bioläden in Deutschland, und auch in seiner Arbeit beim Film ließ ihn der Umweltschutz nicht los. Seit zehn Jahren gibt er Workshops und berät Sender und Produktionsfirmen und wirkte auch im Sommer 2023 bei der Konferenz “Green Culture – Audiovisuelle Medien in Bewegung”, ausgerichtet von der BKM und dem FFF Bayern, als Workshopleiter mit. Zudem kooperiert er immer wieder mit der Film Commission des FFF Bayern. Er hat das Curriculum, dessen Entwicklung der FFF Bayern gefördert hat, für die IHK-Ausbildung „Green Consultant in Film & TV“ entwickelt und unterrichtet „Green Production & Creation“ sowie Nachhaltige Filmtechnologien an der HFF München.

Zum nachhaltigen Drehen und damit zur Aus- und Weiterbildung gehört inzwischen auch „Green Storytelling“. Filmförderungen und Filmschaffende arbeiten dafür mit Checklisten, unter anderem von der „Green Storytelling Initiative für Drehbuchautor*innen, Dramaturg*innen, Produzent*innen, Redakteur*innen und anderen Entscheidungsträger*innen“. „Werden Charaktere gezeigt, wie sie Energie sparen?“, wird zum Beispiel gefragt oder allgemeiner: „Nutzen die Charaktere umweltfreundliche Alternativen in ihrem Alltag?“

Auch Gassmann hat solche Listen mitentwickelt. „Checklisten können bei Sendern und Förderern ein Bewusstsein schaffen, doch das Thema ist komplex. Sie sind ein guter erster Schritt, um die verschiedenen Möglichkeiten aufzuzeigen.” Diversitäts-Checklisten zum Beispiel sind umstritten, weil sie auch Stereotype fördern können. Beim Thema Klima- und Umweltschutz waren das lange Zeit „Öko-Hippies“ in Jutekleidern, heute ist es die aufmüpfige Tochter, die für die Umwelt demonstriert. „Kommissare auf dem Fahrrad und die Kommissarinnen mit Mehrwegbecher sind schnell erzählt, aber das Publikum durchschaut das mittlerweile“, sagt Gassmann. „Und dann ist die Wirkung begrenzt. Da müssen wir uns neue Wege und Strategien ausdenken.“

Es muss also um Qualität gehen statt um Quantität, um gute Geschichten statt eine Fahrradquote im Fernsehkrimi. „Unsere Gesellschaft und die Medien sind durch Narrative geprägt, die auch zu den Problemen führen, in denen wir leben“, sagt Gassmann. „Dass das Thema Klimaschutz mittlerweile nicht mehr so zündet wie vor ein paar Jahren und gesellschaftlich so wenig – zu wenig – passiert, hat ebenfalls mit Storytelling zu tun.“ Stoff gebe es „ohne Ende“, abseits von überstrapazierten Weltuntergangsfilmen, die ohnehin nur resignieren lassen. Die Klimakrise evoziert schon jetzt Konflikte, ob in Familien, der Industrie oder im Tourismus. „Die müssen wir in Geschichten umwandeln, da sind wir in der Verantwortung“, sagt Gassmann. „Dafür brauchen Filmschaffende Zeit und Raum, damit das auch eine Tiefe und vor allen Dingen auch Relevanz bekommt.“

Anders als beim Green Shooting gibt es nach wie vor wenige Initiativen zum Thema Storytelling. Eine ist die gemeinnützige Initiative „Planet Narratives“: Die Medien- und Umweltrechtlerin Nicole Zabel-Wasmuth und der Regisseur und Produzent Lars Jessen veranstalten Climate-Fiction-Workshops für Drehbuchautor*innen und Diskussionsrunden für Entscheider*innen und beraten Filmschaffende bei der Recherche und Drehbuchkonzeption. Noch ist das eine Ausnahme.

Ein Grund für die Zurückhaltung ist, dass in der Branche schnell die Kritik kommt, Checklisten würden in die künstlerische Freiheit eingreifen und belehren wollen. „Film hat zwei Funktionen“, sagt die Filmemacherin Marianne Wendt: „Geschichten können helfen, unsere Gesellschaft abzubilden und damit auch zu gestalten, aber sie bieten auch Eskapismus, eine Flucht in die Utopie, eine schönere Welt, die sich mit realen Problemen nicht befassen muss oder sie überwunden hat. Es wird immer beides geben.“ Sie erwartet, dass „Green Storytelling“ die neue Normalität wird. „Das Bewusstsein wird größer werden. Die jüngere Generation denkt diese Themen bereits selbstverständlich mit und die Probleme werden brennender. Die Realität wird uns schneller einholen als wir denken.“ Wendt will sich als nächstes mit konstruktiven Geschichten befassen. „Klassischerweise haben wir im Film den Einzelhelden, der sich einem Abenteuer stellt. Aber heute spüren wir zunehmend, dass wir alleine wenig ausrichten können, sondern nur im Kollektiv stark sind und gemeinsam die Zukunft verändern können“, sagt sie. „Das ist aktuell die große Herausforderung für uns Filmschaffende: Ermutigende Geschichten zu erzählen, die uns raus aus der individuellen Ohnmacht und rein in die Selbstwirksamkeit führen.“

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Kathrina Hollmer
Fotos: Constantin Film, Paramount+, ARD
Redaktion und digitales Storytelling: Olga Havenetidis
Gestaltung: Schmid/Widmaier

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