Auch Gassmann hat solche Listen mitentwickelt. „Checklisten können bei Sendern und Förderern ein Bewusstsein schaffen, doch das Thema ist komplex. Sie sind ein guter erster Schritt, um die verschiedenen Möglichkeiten aufzuzeigen.” Diversitäts-Checklisten zum Beispiel sind umstritten, weil sie auch Stereotype fördern können. Beim Thema Klima- und Umweltschutz waren das lange Zeit „Öko-Hippies“ in Jutekleidern, heute ist es die aufmüpfige Tochter, die für die Umwelt demonstriert. „Kommissare auf dem Fahrrad und die Kommissarinnen mit Mehrwegbecher sind schnell erzählt, aber das Publikum durchschaut das mittlerweile“, sagt Gassmann. „Und dann ist die Wirkung begrenzt. Da müssen wir uns neue Wege und Strategien ausdenken.“
Es muss also um Qualität gehen statt um Quantität, um gute Geschichten statt eine Fahrradquote im Fernsehkrimi. „Unsere Gesellschaft und die Medien sind durch Narrative geprägt, die auch zu den Problemen führen, in denen wir leben“, sagt Gassmann. „Dass das Thema Klimaschutz mittlerweile nicht mehr so zündet wie vor ein paar Jahren und gesellschaftlich so wenig – zu wenig – passiert, hat ebenfalls mit Storytelling zu tun.“ Stoff gebe es „ohne Ende“, abseits von überstrapazierten Weltuntergangsfilmen, die ohnehin nur resignieren lassen. Die Klimakrise evoziert schon jetzt Konflikte, ob in Familien, der Industrie oder im Tourismus. „Die müssen wir in Geschichten umwandeln, da sind wir in der Verantwortung“, sagt Gassmann. „Dafür brauchen Filmschaffende Zeit und Raum, damit das auch eine Tiefe und vor allen Dingen auch Relevanz bekommt.“
Anders als beim Green Shooting gibt es nach wie vor wenige Initiativen zum Thema Storytelling. Eine ist die gemeinnützige Initiative „Planet Narratives“: Die Medien- und Umweltrechtlerin Nicole Zabel-Wasmuth und der Regisseur und Produzent Lars Jessen veranstalten Climate-Fiction-Workshops für Drehbuchautor*innen und Diskussionsrunden für Entscheider*innen und beraten Filmschaffende bei der Recherche und Drehbuchkonzeption. Noch ist das eine Ausnahme.
Ein Grund für die Zurückhaltung ist, dass in der Branche schnell die Kritik kommt, Checklisten würden in die künstlerische Freiheit eingreifen und belehren wollen. „Film hat zwei Funktionen“, sagt die Filmemacherin Marianne Wendt: „Geschichten können helfen, unsere Gesellschaft abzubilden und damit auch zu gestalten, aber sie bieten auch Eskapismus, eine Flucht in die Utopie, eine schönere Welt, die sich mit realen Problemen nicht befassen muss oder sie überwunden hat. Es wird immer beides geben.“ Sie erwartet, dass „Green Storytelling“ die neue Normalität wird. „Das Bewusstsein wird größer werden. Die jüngere Generation denkt diese Themen bereits selbstverständlich mit und die Probleme werden brennender. Die Realität wird uns schneller einholen als wir denken.“ Wendt will sich als nächstes mit konstruktiven Geschichten befassen. „Klassischerweise haben wir im Film den Einzelhelden, der sich einem Abenteuer stellt. Aber heute spüren wir zunehmend, dass wir alleine wenig ausrichten können, sondern nur im Kollektiv stark sind und gemeinsam die Zukunft verändern können“, sagt sie. „Das ist aktuell die große Herausforderung für uns Filmschaffende: Ermutigende Geschichten zu erzählen, die uns raus aus der individuellen Ohnmacht und rein in die Selbstwirksamkeit führen.“