Hoch
offiziell
im Kino
abtau­chen

Julia Weigl, die künstlerische Co-Leiterin des Filmfest München, war in diesem Jahr Jurorin beim London Film Festival. Ein paar Fragen zum Wetter, zu den Filmen und zum Netzwerken an der Themse.
Interview von Olga Havenetidis
5 Minuten Lesezeit

Liebe Julia Weigl, Sie waren in der Jury für die First Feature Competition beim London Film Festival und sind gerade zurückgekehrt. Wie war das Wetter?

Turbulent. Ein typischer britischer Herbst also. Einen Morgen wacht man bei strahlendem Sonnenschein an der Thames auf und am nächsten Tag schimmern die Hochhauslichter durch den dichten Nebel…also eigentlich perfektes Kinowetter!

 

War das Ihre erste Jury-Erfahrung bei einem Filmfestival?

Ich durfte schon öfter Kurzfilme oder auch mal Dokumentarfilme beurteilen. Allerdings war ich noch nie in einer First Feature Jury – und das war großartig. Denn Debütfilme zeigen immer das komplette Spektrum des internationalen Filmgeschehens: neue Perspektiven, neue Talente, neue Themen.

 

Wie ist die Woche für die Jury abgelaufen?

Für mich ist das schönste an Jurytätigkeiten, dass ich hoch offiziell mehrere Tage nur im Kino abtauchen kann und das Gesehen sofort mit meinen tollen Jurykolleg:innen diskutieren darf. Die britische Regisseurin und Autorin Dionne Edwards kannte ich bereits, da wir 2022 die Deutschlandpremiere ihres Debütfilms PRETTY RED DRESS beim Filmfest München präsentiert haben. Bernardo Rondeau kannte noch nicht. Er ist ein sehr spannender Kurator aus Los Angeles, der dort unter anderem sehr lange die Filmprogramme des Academy Museums verantwortete. Die Woche mit diesen beiden Menschen im Kino des British Film Institute zu verbringen, war grandios und sehr bereichernd.

Julia Weigl (M.) mit ihren Jurykolleg*innen Dionne Edwards (Regisseurin und Autorin aus Großbritannien) und Bernardo Rondeau (Kurator aus den USA)

Sie haben elf Filme gesichtet. Wie ist Ihr Eindruck von den Debütfilmen? Gibt es Gemeinsamkeiten, die mehrere oder vielleicht sogar alle Debütant*innen miteinander teilen?

Die Debütfilme beim London Film Festival sind quasi ein Best-of des gesamten Festivaljahrgangs – mit dabei sind Filme von der Berlinale, aus Cannes, Locarno, Venedig und San Sebastián. Was mich sehr gefreut hat: Es war auch Mahdi Feifels TO A LAND UNKNOWN vertreten, der bei uns im Sommer den CineCoPro Award für die beste deutsche Koproduktion erhielt, und ein wunderbares Beispiel dafür ist, was junge Filmschaffende gerade beschäftigt: Ihre Filme sind politisch, persönlich und zugleich sehr poetisch. Sie spiegeln die Zeit wider, in der wir leben, die Gesellschaften im Wandel. Ob im Nahen Osten, (Südost)asien oder Europa. Das zeigt auch der Film, den wir am Ende als besten Film ausgezeichnet haben: Laura Carreiras ON FALLING: Darin klickt sich eine portugiesische Migrantin in ihrer Wahlheimat Schottland als sogenannte “Pickerin” durch die Hochregale des Warenlages, in dem sie Tag ein, Tag aus schuftet. Ein zärtliches Porträt unserer Zeit, die vor allem von Kommerz, Einsamkeit und Hilflosigkeit gezeichnet ist. Zugleich ist der Film aber sehr warm und menschlich. Ein wahrlich starkes Debüt!

 

Was haben Sie als Jurorin mitgenommen, das Sie in Ihrer Funktion als künstlerische Co-Leitung des Filmfest München einbringen möchten?

Wie wichtig es ist, gemeinsam im Kino zu sitzen und über Film zu diskutieren. Nicht nur unter Jurys, sondern auch mit dem Publikum. Dieses Gespräch kann die digitale Welt nicht ersetzen. Wie können wir dieses Thema noch weiter in den Mittelpunkt unseres Festivals rücken. Wie können wir diese einzigartigen Begegnungen zwischen Filmschaffenden, Branchenvertreter:innen, Journalist:innen und natürlich dem Münchner Publikum noch besser herstellen.

 

Die Verbindung zwischen Filmfest München und BFI wird ja schon seit einigen Jahren enger. Hat sich durch Ihre Anwesenheit etwas ergeben, um hier noch mehr zu intensivieren?

Ich war nicht nur als Jurymitglied in London, sondern auch für das Works-in-Progress Showcase des Festivals. Seit mehreren Jahren veranstaltet das London Film Festival auch sehr interessante Brancheninitiativen. Am ersten Festivalwochenende präsentieren sich dort einen Tag lang neue Talente aus dem Vereinigten Königreich und werden mit nationalen und internationalen Branchenvertreter:innen vernetzt. Da konnte ich doch bereits ein paar interessante neue britische Stimmen kennen lernen, die wir hoffentlich in den nächsten Jahren beim Filmfest München sehen werden. Für mich sind solche Entdeckungen essenziell – und da hilft uns die enge Zusammenarbeit mit dem BFI seit Jahren sehr.

 

Julia Weigl (l.) mit Gráinne Humphrey, Direktorin des Dublin International Film Festivals

Sie sind ja viel auf Festivals weltweit unterwegs: Wie hat sich in der letzten Woche Ihr Erfahrungsschatz vergrößert?

Ich liebe es, hinter die Kulissen von Festivals zu blicken. Man lernt dabei enorm viel. Natürlich lernt man vor allem neue spannende Menschen kennen, aber auch die Strukturen: Wie Festivals in anderen Ländern gemacht werden? Was funktioniert dort vielleicht besser als bei uns, was sind dafür andere Herausforderungen? Was können wir voneinander lernen. Da habe ich aus der Jury-Perspektive noch einige neue Ideen mitgenommen für unsere nächsten Festivalausgaben.

 

Außerdem sind Sie eh schon hervorragend vernetzt. Welche neuen Kontakte konnten Sie knüpfen?

Allen voran natürlich meine Jurykolleg:innen, mit denen ich so viel Zeit verbringen durfte, aber auch die Kolleg:innen aus den anderen Jurys waren eine enorme Bereicherung. Allen voran unser alter Filmfest-Freund Alexandre O. Philippe, aber  die Journalistin Manori Ravindran (The Ankler, Variety, Broadcast) und der Filmemacher Reinaldo Marcus Green (King Richard, Bob Marley: One Love, We Own This City). Und dann freue ich mich natürlich immer sehr, mich mit weiteren Festivalmacher:innen vor Ort auszutauschen. Zum Beispiel mit Gráinne Humphrey aus Dublin, Allison Gardner aus Glasgow oder Malaika Bova, die unter anderem für Tallinn arbeitet.

 

Bei welchem Festival würden Sie gerne als nächstes in der Jury sitzen?

Also wenn wir von Träumen reden, dann gerne Venedig :-).

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Interview: Olga Havenetidis
Foto: Julia Weigl. London Film Festival
Digitales Storytelling und Gestaltung: Schmid/Widmaier

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