Mehr Telluride
als Toronto

Nächsten Monat ist es wieder soweit: München leuchtet mitten im Sommer, wenn die Leinwände des Münchner Filmfests strahlen. Ein Gespräch mit dem neuen Spitzenduo der Internationalen Filmwochen GmbH, Christoph Gröner und Julia Weigl, über die Bedeutung des neuen Designs, ihre Pläne und das Lebensgefühl an der Isar.
Interview von Josef Grübl
13 Minuten Lesezeit

Bis zur Eröffnung des 41. Filmfests München Ende Juni dauert es noch etwas, die Vorbereitungen laufen aber bereits auf Hochtouren. Im Oktober 2023 hat Christoph Gröner den Geschäftsführer-Posten der Internationalen Münchner Filmwochen GmbH von seiner Vorgängerin Diana Iljine übernommen; als langjähriger künstlerischer Leiter des Festivals kennt er dieses wie kaum ein anderer. Auch Julia Weigl arbeitet seit Jahren für das Filmfest München, bisher als internationale Programmerin, nun hat sie die künstlerische Co-Leitung übernommen. Gröner und Weigl sind also für das inhaltliche Konzept von Deutschlands größtem Sommer-Festival zuständig – zunächst für zwei Ausgaben, in den Jahren 2024 und 2025. Die beiden haben signalisiert, dass sie gerne weitermachen würden. Welche Pläne haben sie? Was wollen sie beibehalten und was wird verändert? Im Gespräch über die Gegenwart und Zukunft des Filmfests verraten sie es, es geht um Wellen, Preise oder junge Publikumsschichten. Auch erste prominente Gäste können sie bereits benennen.

Denn es geht um die Grundlagen, wie man mit der Welt kommuniziert, wie man als Festival nach außen geht.

Sie haben Ihre neuen Aufgaben erst vor einigen Monaten übernommen. Was hat sich seitdem getan?

Christoph Gröner: Ich würde gern mit dem Design anfangen. Das ist für uns sehr wichtig, daran haben wir in den letzten Monaten sehr intensiv gearbeitet. Denn es geht um die Grundlagen, wie man mit der Welt kommuniziert, wie man als Festival nach außen geht. Wir machen jetzt die 41. Filmfest-Ausgabe und es ist uns gelungen, ein Design beziehungsweise eine Design-Welt zu finden, die uns trägt – und uns auch in den nächsten Jahren tragen wird.

Julia Weigl: Wir sind in uns gegangen und haben viel darüber gesprochen, was das Filmfest für uns ist und was es in Zukunft noch mehr sein könnte. Auch bei unseren Recherchereisen in die USA oder zu anderen Festivals haben wir uns mit vielen Menschen unterhalten. Die einen kannten das Filmfest München gut, andere nicht so sehr. Es gab auch welche, die früher oft da waren, seit einigen Jahren aber nicht mehr. In diesen Gesprächen ist ein Satz mehrmals gefallen: „Ihr seid doch mehr Telluride statt Toronto.“ Also eher das entspanntere und zugänglichere Filmfestival und nicht so sehr das Spektakel mit den großen roten Teppichen und den ganz großen Gala-Premieren, bei denen sich eigentlich alles nur um die Stars dreht. Wir werden also eher als Entdecker-Festival wahrgenommen, für Filmschaffende aus Deutschland, aber auch aus dem Ausland. Darauf wollen wir uns weiterhin konzentrieren, wir wollen internationalen Filmen eine Uraufführungs-Plattform bieten. 2023 hatten wir sechs internationale Uraufführungen, das hat sich herumgesprochen. Seitdem kriegen wir noch mehr angeboten. Natürlich werden wir auch über München wahrgenommen: Einer Stadt also, die eng mit dem Wasser verbunden ist, mit der Isar und dem Eisbach, aber auch mit der Natur und dem Englischen Garten.


Daraus entstand das neue Design mit dem bewegten Wasser und den Wellen?

Julia Weigl: Ja, das wollten wir miteinander verbinden. So sind wir auf die neue Farbpalette gekommen, auf Blau und Grün. Es schimmert auch ein leuchtendes Türkis durch, das für uns die Sommerfrische wiedergibt. Und dann ist da noch die Welle als Symbol, als feste Verbindung zwischen den Filmwellen, der Nouvelle Vague etwa, und den Wellen im Eisbach oder der Isar. Das ist für uns die perfekte Kombination als Preissymbol.

Bei so viel Wasser könnte man ja fast glauben, dass München am Meer liege …

Christoph Gröner: Natürlich haben wir uns auch an den großen A-Festivals orientiert, wie die es machen. Und da gibt es Löwen, Palmen oder Bären. Wir suchten also nach etwas, das uns prägen sollte, das aber auch ein bisschen mehr zukunftsgewandt sein sollte. Was aber auch etwas mit München zu tun hat. Und das Wasser spielt eine große Rolle in der Stadt. Die Renaturierung der Isar hat in den letzten zehn Jahren Entscheidendes mit dem Lebensgefühl gemacht. Man muss sich nur einmal anschauen, wie die Menschen die Isar nutzen. Wenn man am Sonntag am Ufer entlang spaziert, sieht man, dass München zwar nicht am Meer ist, aber alle Münchner an der Isar sind.

Julia Weigl: Und was machen die Touristen in München? Schauen sich die Surfer an der Eisbachwelle an. Es gab im letzten Jahr einen Artikel in der New York Times, in dem es darum ging, dass die Isar einer der wenigen Stadtflüsse auf der ganzen Welt ist, in dem man einfach schwimmen kann. Es ist hier also sehr viel mit Wasser geboten – und dieses zeitgemäße München wollen wir auch abbilden.


Man soll München also in Zukunft mit Wasser und Wellen verbinden?

Christoph Gröner: Absolut. Wir glauben, dass es eine Ikonografie ist, die wunderbar mit der Filmgeschichte einhergeht. Julia hat ja bereits die Nouvelle Vague erwähnt. Es gibt auch Wellenbewegungen im Kino, wenn bestimmte Filmemachergruppen auftauchen. Wenn eine Filmemacherin oder ein Filmemacher an der Spitze von etwas steht und sozusagen die Welle reitet. Wir finden das ein wunderbares und frisches Symbol. Das spiegelt sich auch in unseren neuen Preissymbolen wider, die sich einerseits sehr ähnlich sind, andererseits aber auch total individuell. Denn sie sind kunsthandwerklich gearbeitet, mit Hammerschlag.


Es gibt also neue Trophäen. An den einzelnen Preiskategorien ändert sich aber nichts, oder?

Julia Weigl: Genau. Den CineMerit Award werden wir weiterhin verleihen, es soll in Zukunft eben eine Welle geben. Das Symbol ist ein anderes, es wird vereinheitlicht.

Christoph Gröner: Auch beim Förderpreis Neues Deutsches Kino werden es Wellen sein. Auch wenn unsere Preise von Sponsoren kommen, werden sie alle mit Wellen vergeben. Das ist eine Ikonografie, die sich durchzieht.


Wird es auch neue Preise geben?

Julia Weigl: Unser großer Plan ist es, den internationalen Koproduktions-Wettbewerb zurück zu bringen. Der CineCoPro Award wäre die perfekte Ergänzung zur CineCoPro Konferenz, die wir in diesem Jahr ja bereits zum dritten Mal veranstalten.

Christoph Gröner: Den Preis gibt es bereits, das Preisgeld wurde 2019 einmal vergeben. Das kam vom Digitalministerium, damit wurde das künstlerische Engagement der deutschen Koproduzent*innen des Films Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão geehrt.


Steckt hinter einem solchen Koproduktionspreis auch der Gedanke, Fernsehsender oder Förderer mit an Bord zu holen?

Julia Weigl: Das war 2019 tatsächlich der Kerngedanke dahinter. Das Digitalministerium hat damals den Preis auch gestiftet, um den Film- und Medienstandort Bayern noch sichtbarer zu machen. Um zu zeigen, dass es einen Willen gibt, in Koproduktionen zu investieren. Das ist ja bei der CineCoPro Konferenz auch so, da ist der FFF Bayern als Partner mit dabei.

Wie sieht es mit neuen Programmreihen oder Themenschwerpunkten aus?

Christoph Gröner: Was uns in den letzten Monaten wirklich umgetrieben hat, war die Entwicklung von Young Audiences. Also wie wir junge Menschen ansprechen wollen. Das wollen wir in Zukunft mit CineKindl und mit CineYou machen.

Julia Weigl: Das ist natürlich gemeinsam mit Tobi Krell und Tobias Obermeier entstanden. Das CineKindl wird das bisherige Kinderfilmfest ersetzen. Dieses war lange Zeit als Festival im Festival verortet, es hat sich auch vom Namen her ausschließlich an Kinder gewandt. Das hat der Plattform aber nicht nur geholfen. Deshalb haben wir jetzt das CineKindl, das ist auch schon seit zwei Jahren die Wettbewerbsreihe des Kinderfilmfests, als eigene Sektion innerhalb des Filmfests München. Darüber hinaus gibt es ein neues Labor für das junge Münchner Publikum, das sich CineYou nennt. Die Idee dahinter ist, dass immer mehr drinstecken soll als nur ein Film. CineYou ist keine Sektion, sondern eine interaktive Mitmach-Plattform. Dabei arbeiten wir auch sehr eng mit dem Museum Brandhorst zusammen, die machen dieses Jahr eine große Ausstellung zu Andy Warhol und Keith Haring. Und wir veranstalten mit ihnen gemeinsam eine Junge Nacht, mit Kunst und Filmen.

Wenn man Kinder oder Jugendliche befragt, warum sie auf ein Festival oder ins Kino gehen, muss es mehr sein als nur ein Film.

Solche Angebote sind im Laufe der letzten Jahre insgesamt mehr geworden, oder?

Julia Weigl: Absolut. Was das junge Publikum angeht, gibt es dazu auch unterschiedlichste Forschungen. Wenn man Kinder oder Jugendliche befragt, warum sie auf ein Festival oder ins Kino gehen, muss es mehr sein als nur ein Film. Diese Generation ist es einfach gewohnt, Filme auf dem Handy zu konsumieren. Oder zuhause per Beamer. Sie stellen sich also die Frage: Wieso soll ich dafür ins Kino gehen? Deshalb bieten wir ihnen dieses Extra, sie sollen mehr mitmachen, mitreden und mitgestalten.


Was ist denn an Veranstaltungen während des Jahres geplant? Also außerhalb des Filmfests?

Christoph Gröner: Zunächst einmal wollen wir das Filmschoolfest weiterentwickeln, das haben wir im vergangenen Jahr bereits eingeleitet. So werden wir unter anderem einen deutschsprachigen Wettbewerb im Rahmen des Festivals einführen. Ziel ist es, dass das Filmfest das Festival für die lange Filmform bleibt und das Filmschoolfest ein Festival für die kurze Form. Da geht es nicht mehr nur um Filmstudierende, sondern auch um etablierte Künstler, die mit der kurzen Form arbeiten. Das hat man ja zuletzt unter anderem bei den Kurzfilmen von Pedro Almodóvar oder Wes Anderson gesehen.

Julia Weigl: Im Rahmen von CineYou planen wir ebenfalls Projekte, die außerhalb des Filmfests stattfinden. Auch bei Kino-Open-Airs in der Stadt werden wir dabei sein.


Wie sieht es mit neuen Spielstätten aus?

Christoph Göner: Bei den Kinos wird zum ersten Mal das Cinema dabei sein, darüber sind wir sehr glücklich. Außerdem werden wir erstmalig an drei Tagen an einer großen Location im Herzen der Stadt zu Gast sein, die auf jeden Fall mehr als eine reine Spielstätte sein wird.


Die Eröffnung findet aber weiterhin in der Isarphilharmonie statt?

Christoph Gröner: Ja, genau. Allerdings gehen wir erstmalig auf den Samstag.

Julia Weigl: Am Freitag und Samstag tagsüber haben wir zwei Warm-Up-Days. Da wird es bereits Panels und Press Screenings geben. Auch für das Publikum soll es an diesen Tagen Appetithäppchen geben und CineKindl wird eröffnet. Darüber hinaus planen wir parallel zur Eröffnung, an der man ja nur per Einladung teilnehmen kann, ein Publikums-Event zu machen. Damit das Münchner Publikum an diesem Abend ebenfalls dabei sein kann.

Christoph Gröner: Denn wir sind ein Publikumsfestival, das kann man den Leuten nicht oft genug sagen.

Sie haben gesagt, dass das Filmfest ein Entdecker-Festival sein soll. Bedeutet das auch, dass eher die Stars von morgen nach München kommen werden?

Julia Weigl: Natürlich wissen wir, dass wir beides brauchen. Also die großen bekannten Namen und die Nachwuchsleute. Darüber hinaus wollen wir es uns zur Aufgabe machen, Stars wieder zu entdecken oder sie für etwas zu ehren, was ihnen sehr am Herzen liegt oder was sie als Künstler oder Künstlerin in ein anderes Licht rückt.


Können Sie da Beispiele nennen?

Julia Weigl: Ja. Jessica Lange wird nach München kommen. Sie bekommt einen CineMerit Award, wir wollen mit ihr auch eine Fotoausstellung machen. Denn was in Deutschland kaum jemand weiß: Jessica Lange ist auch Fotokünstlerin, sie hat gerade erst einen neuen Bildband herausgebracht mit Schwarzweiß-Fotografien aus New York während der Pandemie.

Christoph Gröner: Wir fangen damit an, Orte zu suchen, wo man das spiegeln kann. In diesem Fall führt das zu einer weiteren neuen Zusammenarbeit: Wir sind zum ersten Mal im Deutschen Theatermuseum am Münchner Hofgarten, dort haben wir das komplette Erdgeschoss für die Ausstellung von Jessica Lange.

Es gibt sehr viele Filme, die sich mit unserer jetzigen Weltlage befassen.

Können Sie noch weitere Namen nennen?

Christoph Gröner: Ja, wir sind sehr stolz darauf, dass auch Kate Winslet zum Filmfest München kommen wird. Auch sie werden wir mit einem CineMerit ehren. Sie will ihren neuen Film Die Fotografin vorstellen, über die Fotokünstlerin Lee Miller. Das ist in gewisser Weise auch ein Münchner Thema, denn Lee Miller war die Frau, die im April 1945 in der Badewanne von Hitlers Münchner Wohnung am Prinzregentenplatz saß. Das Foto ist entstanden in ihrer Zeit als Kriegskorrespondentin, als sie unter anderem die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau dokumentiert hat. Am 30. April 1945, kurz nach der Besetzung von Hitlers Privatwohnung durch GIs, hat Lee Miller mit ihrem Kollegen David E. Scherman das Badewannenfoto komponiert – ein Scoop und eine der berühmtesten Fotografien des 20. Jahrhunderts. Diese Namen zeigen, dass auch große Stars nach München kommen. Die Entdecker-Mentalität des Filmfests gepaart mit der lockeren und familiären Stimmung scheint Stars anzuziehen. Auch Maryam Keshavarz, die Regisseurin unseres letztjährigen Eröffnungsfilms The Persian Version möchte wieder kommen, wir haben sie in eine der Jurys eingeladen. Auf diese Weise versuchen wir auch, langjährige Freundschaften aufzubauen.


Welche Auswirkungen auf das Filmfest hat die aktuelle politische Weltlage mit den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine und in Israel?

Julia Weigl: Zunächst einmal finde ich es interessant, dass sehr viele Filmemacher das wohl vorhergesehen haben. Denn es gibt sehr viele Filme, die sich mit unserer jetzigen Weltlage beschäftigen. Als hätten sie es schon vor vier Jahren gesehen, als ihre Filme geschrieben wurden und entstanden sind. Wir werden definitiv ein Portfolio von Filmen haben, die sich auf unterschiedlichste Art mit unserer Weltlage auseinandersetzen, mal humorvoll oder satirisch, mal sehr ernsthaft oder auch dokumentarisch. Wir werden dabei auch Filme aus der Ukraine zeigen. Die größte Herausforderung wird aber der Umgang mit Israel und Gaza sein. Das hat man ja auch in Berlin gesehen.

Als Festival bieten wir eine Plattform, die für offenen Dialog steht, die auch Diskurs zulassen möchte.

Wie wollen Sie Situationen wie bei der diesjährigen Preisverleihung bei der Berlinale vermeiden?

Julia Weigl: Da wollen wir den Weg, den wir beim Filmschoolfest gewählt haben, weitergehen. Wir hatten ja den traurigen Fall des israelischen Filmemachers Yahav Winner, der beim Terror-Angriff der Hamas ums Leben kam. Da mussten wir sehr genau überlegen, wie wir damit umgehen. Als Festival bieten wir eine Plattform, die für offenen Dialog steht, die auch Diskurs zulassen möchte. Gleichzeitig sind wir uns bewusst, dass wir in Deutschland stattfinden, wo es bestimmte Leitplanken geben muss in der öffentlichen Rede. Da ist es auch unsere Aufgabe, sich nicht weg zu ducken, sondern zu moderieren.

Christoph Gröner: Wir haben beim Filmschoolfest sehr stark moderierend gewirkt. Den Film von Yahav Winner haben wir im Wettbewerb gelassen, wir haben auch die Witwe und die Protagonisten eingeladen, damit die Filmemacher untereinander in Kontakt treten konnten. Es sollte ein Reden der Künstlerinnen und Künstler über ihre Werke stattfinden. Und damit ein differenziertes Reden über Film und ein differenziertes Wahrnehmen der Welt.

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Interview: Josef Grübl
FotosFilmfest München
Redaktion und digitales Storytelling: Olga Havenetidis
Gestaltung: Schmid/Widmaier

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