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Ver­trauen wagen

Am Filmset läuft selten alles glatt. Rasche Arbeitsabläufe, enge Zeitpläne, knappes Budget. Und dann gibt es noch Hierarchien, die zu Spannungen führen und eskalieren können. Was passiert, wenn man sich nicht untereinander einigen kann? Die Initiative „Fair Play Film und Kultur“, gegründet von Christine von Fragstein, Christine Tröstrum und Thomas Biniasz, schafft mit der FFF-geförderten Weiter­bildung Vertrauens­person Film + Kultur eine unabhängige Position, an die sich Betroffene am Set wenden können.
Text von Paul Junhold und Jana Simet
6 Minuten Lesezeit

Mit dem im November 2024 eingeführten Respect Code Film will die Filmbranche einen Kulturwandel schaffen. Der Code definiert Standards für den respektvollen Umgang in allen Phasen einer Filmproduktion. Doch Leitlinien allein schaffen noch kein Vertrauen. Aus diesem Grund hat Fair Play Film und Kultur 2025 die Rolle der Vertrauensperson entwickelt. Sie ist extern, neutral und unabhängig.

„Im Prinzip ist diese Weiterbildung zur Vertrauensperson, die wir in Kooperation mit der Produktionsallianz Campus aufgesetzt haben, ein Instrument, um Menschen aufzuklären, ihnen Mut zu geben, Vorfälle, die nicht in Ordnung sind zu melden und das Schweigen nach und nach zu brechen“, sagt Christine von Fragstein. Die Kulturmanagerin und systemisch-integrativer Coach arbeitet selbst als Vertrauensperson. Zusammen mit Thomas Biniasz, Psychologe und Lehrcoach, leitet sie Fair Play Film und Kultur. Beide kennen die Branche und auch die Filmproduktionen. Die Vertrauensperson sorgt für eine gute Arbeitsatmosphäre und bietet ein Gespräch mit Vertraulichkeitsvereinbarung in einem komplett geschützten Raum an. Nach vielen Gesprächen mit Filmproduktionen, der Themis und Anwält*innen aus dem Bereich Arbeitsrecht haben sie eine Definition für die Rolle von Vertrauenspersonen erarbeitet, auf der die Weiterbildung fundiert. Sie klärt im Sinne des/der Betroffenen über Handlungsoptionen auf. Sie ist Ansprechperson rund um Arbeitsbedingungen und Übergriffen in der Filmproduktion und Kulturbranche. Sie ist keine Anwält*in, keine Rechtsberater*in, keine psychologische Stelle, sondern ein neutraler Raum mit Lotsenfunktion, wo sich Betroffene hinwenden können, bevor sie zum Arbeitgeber geht.

Christine von Fragstein, Mitgründerin von Fair Play Film und Kultur

Die Vertrauensperson soll am Set eine externe, unabhängige Anlaufstelle bilden. Sie steht in der Stabsliste und wird idealerweise durch die Leitung des Warm-Up persönlich eingeführt. Das soll Vertrauen schaffen und eine unabhängige Beratung gewährleisten. Wie ein*e Lots*in ist sie diejenige Person, die die Informationen der betroffenen Person aufnimmt und einordnet: War das Verhalten okay oder nicht? Was war das für ein Übergriff? Wie ist das einzuordnen? Anschließend berät sie zu weiteren Handlungsschritten. Denn wer zum Arbeitgeber geht, setzt direkt den üblichen Beschwerdeprozess in Gang. Viele Leute scheuen vor den möglichen Konsequenzen der Sachverhaltsaufklärung zurück. In Abgrenzung zur Themis, die als Vertrauens- und Beschwerdestelle für sexuelle Übergriffe in der Medienbranche fungiert, ist die Vertrauensperson für jegliche Form von Vorfällen zuständig, sei es Diskriminierung, Rassismus oder verbale Übergriffe.

Die Notwendigkeit einer neutralen Anlaufstelle für Betroffene ist Christine von Fragstein im Gespräch mit verschiedenen Produzent*innen klar geworden. Zwar gibt es an einigen Sets sogenannte Awareness Teams, doch ein richtiger Standard hat sich in Europa bisher nicht etabliert. Dies soll sich nun ändern:
Um die Rolle in der Branche zu verankern, hat Fair Play ein zertifiziertes Weiterbildungsprogramm ins Leben gerufen – praxisnah und speziell auf die Herausforderungen der Film- und Kulturbranche zugeschnitten.

Unterrichtet wird von einem interdisziplinären Team: Psychologische Grundlagen vermittelt von Thomas Biniasz, Coaching-Methoden bringt Christine von Fragstein ein. Arbeitsrechtler*innen der Kanzlei VCVF führen in juristische Fragestellungen ein und Themis Expert*innen klären über sexuelle Belästigung auf. Besonderes Augenmerk liegt auf der Sensibilisierung für die Lebensrealitäten marginalisierter Gruppen, denn diese sind am häufigsten betroffen. Diversity- und Inklusionsberater*innen rücken Themen wie Sprache und diskriminierungsfreie Kommunikation in den Fokus.

Alexandra Hajok nutzt das FFF-geförderte Weiterbildungsprogramm zur Vertrauensperson

Die Idee fällt auf fruchtbaren Boden: Große Unternehmen haben den Respect Code bereits in Ihre Arbeitsverträge aufgenommen. Filmhochschulen und die öffentlich-rechtlichen TV-Sender verpflichten sich zur Einhaltung. „Wir glauben, dass gute Zusammenarbeit am Ende auch Geld spart, Konflikte spart und es am Ende mehr Spaß macht, zusammenzuarbeiten“, so Christine von Fragstein.

Auch der FFF Bayern unterstützt die Ausbildung nach Förderzusage, darunter Melina Hess und Alexandra Hajok. Ein Instagram-Post machte Alexandra Hajok von Crew United auf Fair Play aufmerksam, daraufhin entschied sie sich dazu, die Weiterbildung zur Vertrauensperson anzugehen. Hajok hat nicht nur selbst bereits einiges an Beratungserfahrungen sammeln können, sondern kennt auch Situationen, in denen eine dritte, neutrale Partei als Support hinzugezogen werden musste. „Die Rolle der ‚Vertrauensperson‘ gab es an sich ja schon, nur gab es dafür bisher nicht wirklich eine genaue Definition“, erklärt sie. Die Fortbildung bei Fair Play umfasst sechs Module, von denen Hajok bereits an zwei teilgenommen hat. Die Inhalte umfassen unter anderem juristischen Grundlagen, Methoden zur Konflikteskalation, sowie das Üben an Praxisbeispielen. Zudem arbeiten die Teilnehmer*innen auch zwischen den Modulen als Lerngruppen eigenständig an der Verankerung der Inhalte. Für Alexandra Hajok ist es wichtig, dass sich die Vertrauensperson zukünftig nicht nur als anerkannter Beruf durchsetzt, sondern auch, dass sie ein selbstverständlicher Part eines jeden Filmsets sein wird. Außerdem soll die Arbeit der Vertrauensperson nicht mit dem letzten Produktionstag vorüber sein, sondern auch darüber hinaus weitergehen, bis ein Fall abgeschlossen ist. „Mit dieser Weiterbildung legen wir den ersten Grundstein für die Zukunft des Films,“ sagt Alexandra Hajok stolz.

DAS PROGRAMM

Nach erfolgreichem Start geht das Programm 2026 in die zweite Runde. Im Januar startet der zweite Jahrgang der Weiterbildung Vertrauensperson Film und Kultur.

Teilnahmevoraussetzungen für das Programm sind:
– hohe Kommunikations- und Gesprächsführungskompetenz
– keine Konfliktscheue
– mindestens fünf Jahre Berufserfahrung

Nach Abschluss erhalten die Absolvent*innen weiterhin Unterstützung durch Supervision und Intervisionsgruppen.

Bewerbungsschluss ist der 20. November 2025.

Interessierte können sich an vertrauensperson@fairplay-film-kultur.de wenden. 
Weitere Informationen findet Ihr auf der Webseite von Fair Play Film und Kultur.

 

DIE INITIATIVE

Fair Play Film und Kultur wurde 2023 von Christine von Fragstein und Christine Tröstrum ins Leben gerufen und richtet sich gezielt an Menschen in der Film- und Kulturbranche. Statt alte, hierarchischen Strukturen weiterhin zu erhalten, lernen Teilnehmende wie man eine Arbeitskultur aufbaut, in der vor allem Respekt, Vertrauen und Kreativität in den Vordergrund gerückt wird. Das Team von Fair Play Film und Kultur besteht aus zwölf ausgebildeten Coaches und Trainer*innen, die in verschiedenen Workshops und Weiterbildungen ihre Kenntnisse zu Themen wie Mediation, Teamentwicklung, Inklusion und Change-Management vermitteln.

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Paul Junhold und Jana Simet
Redaktion: Olga Havenetidis
Gestaltung und digitales Storytelling: Schmid/Widmaier

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