Nichts ist
unmög­lich

Künstliche Intelligenz verändert gerade auch die Filmbranche von Grund auf. Eine Bestandsaufnahme bei zwei Produktionsfirmen am Standort Bayern.
von Kathrin Hollmer
8 Minuten Lesezeit
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Ganna steht auf einem Felsvorsprung und schaut auf das Tal, das ihr zu Füßen liegt. Die Kamera hält in Nahaufnahme auf die Augen und den Mund der jungen Frau. Sie ist, erfährt man gleich, eine germanische Seherin, und erzählt die Geschichte ihres Volks, das im Jahr 233 n. Chr. an der Grenze zum Römischen Reich lebt. Ganna, Heldin der Serie The Seeress, hat eine Mission: Sie will die Morde aufklären, die die Gegend zuletzt erschüttert haben. Wie sich das für einen Trailer gehört, geben brennende Wälder, wütende Germanen und uniformierte Römer einen Ausblick auf Gannas gefährliche Reise.

Was auf den ersten Blick wie herkömmlich gefilmt aussieht, wurde in Wahrheit mithilfe von KI generiert. Das Video des Münchner Start-ups Storybook Studios, einer Schwesterfirma von Pantaleon Films, ist der erste KI-Trailer im Live-Action-Look in 4K-Auflösung überhaupt. Es ist ein Mood-Trailer, mit dem ein Projekt bei Sendern und Streaming-Diensten gepitcht wird, bevor es an die weitere Planung und Finanzierung geht. Normalerweise bestehen solche Clips aus Ausschnitten aus existierenden Serien. In diesem Fall könnte man sich Szenen aus Game Of Thrones oder Barbaren vorstellen. Problem Nummer eins: „Solche Ausschnitte irritieren die Zuschauer*innen, weil sie sie an andere, bekannte Serien erinnern“, sagt Franziska Hansel, AI Ethics & Bias Officer von Storybook Studios. Und Problem Nummer zwei: „Man kann sie nicht veröffentlichen, weil man nicht die Rechte an den Sequenzen hat.“

Franziska Hansel

Das Ergebnis, das man auf Youtube findet, ist faszinierend. Dabei war es eigentlich nur ein Experiment der Firma, die nun seit etwa einem Jahr existiert. „Mit KI können wir genau die Figuren generieren und visualisieren, die wir uns vorstellen. Wir wollten ausprobieren, wie weit wir damit kommen“, sagt Hansel, die gemeinsam mit dem Programmierer und AI-Workflow-Entwickler Albert Bozesan im Büro im Glockenbachviertel empfängt.

KI kommt schon lange im Film zum Einsatz, in Form von Spezialeffekten und in der Postproduktion, wenn es um die Visualisierung surrealer Welten oder realistisch aussehender Explosionen geht, um Soundeffekte oder die Restaurierung von altem Filmmaterial. Die Einsatzgebiete werden immer mehr. Eines der bekannten Beispiele aus Hollywood ist der fünfte Teil von Indiana Jones, für den der Hauptdarsteller Harrison Ford dank KI 45 Jahre „jünger“ gemacht wurde. Für die FFF-geförderte Serie Neue Geschichten vom Pumuckl legt eine KI die altbekannte Pumuckl-Stimme des verstorbenen Schauspielers Hans Clarin über die des neuen Sprechers Maximilian Schafroth.

Durch den Einsatz von KI hat das Team der Neuesuper-Produktion Pumuckls Stimme erhalten – eingesprochen von Maximilian Schafroth, aber mit der Stimmfarbe von Hans Clarin.

Seit einiger Zeit macht KI exponentielle Fortschritte. In immer kürzeren Abständen werden neue Tools vorgestellt. „Auf der Berlinale in diesem Jahr bekamen wir ständig die Frage, wie lange es dauert, bis wir einen Text eingeben und die KI ein Video daraus generiert“, erzählt Bozesan. „Sicher noch ein paar Jahre, sagten wir damals – und am selben Abend wurde Sora angekündigt.“

Text-to-Video-KI-Generatoren wie die OpenAI-Software Sora lassen auf Basis von Textbeschreibungen, sogenannten Prompts, Bewegtbild entstehen. In ihrem Büro zeigen Hansel und Bozesan ein weiteres Video mit verschiedenen Welten, die sie mit Bewegtbild-generierenden Tools kreieren: fremde Galaxien, regenbogenfarbene Märchenlandschaften, historische und animierte Settings. Wenn Bozesan „Pink Fox“ tippt, erstellt die KI einen pinkfarbenen Fuchs im Stil eines Animationsprojekts, an dem er arbeitet.

Hansel und Bozesan macht es sichtlich Spaß, die neuen Möglichkeiten zu zeigen. Hansel hält vor der Webcam ihre Hände neben das Gesicht, wenige Sekunden später imitiert auf dem Bildschirm eine scheinbar real gefilmte Reiterin auf einem Pferd genau diese Bewegung. Das Team um Hansel und Bozesan ist stolz auf den eigenen Workflow im Unternehmen: ein Programm, das verschiedene KI-Tools verbindet und mit dem man Designs erstellt und verarbeitet. „Wir wollen unabhängig sein von kommerziellen internationalen Anbietern“, erklärt Bozesan. Dafür arbeiten bei Storybook Studios mehr Programmierer*innen als klassische Filmleute.

Die Arbeit von Albert Bozesan (AI Workflow Development), Tobias M. Huber (Strategic AI Operations) und Franziska Hansel (AI Ethics & Bias Officer) von Story Books wurde auch bei 3sat vorgestellt.

Storybook Studios kann Produktionen unterstützen, mit Mood-Trailern oder mit KI-generierten Settings, die auf Virtual Production Stages eingespeist werden. Hauptziel ist das aber nicht. „Wir wollen mehr als schöne Bilder generieren, wir sehen uns nicht als KI-Department oder Ersatz für VFX in der Produktion“, sagt Franziska Hansel. Wir verstehen uns als Studio, das Filme, Serien – Entertainment im weitesten Sinne – produziert. Wir wollen Geschichten erzählen.“ Die sollen bei Storybook Studios an erster Stelle stehen. „Wir wollen unterhalten, nicht dafür, dass es mit KI generiert wurde, sondern obwohl“, sagt Bozesan. „Wir arbeiten zufällig mit KI, weil es schnell ist und gut funktioniert.“

Im Realfilm stoßen Text-to-Video-KI-Generatoren noch an Grenzen. Wenn man im Seeress-Trailer genau hinguckt, sieht man, dass die Flammen zu statisch lodern und die unscharfen Kanten geben Szenen mit Menschen eine Videospiel-Optik. „Noch können wir keine Menschen synthetisch erstellen, die einen ganzen Film lang kontrolliert interagieren“, sagt Hansel. Bis zu zehn Sekunden, schätzt sie, seien möglich. Stand jetzt, in ein paar Wochen kann das schon anders aussehen.

Animationsserien und -filme dagegen lassen sich schon in beeindruckender Qualität umsetzen. In den vergangenen Monaten hat Storybook Studios eine Animationsserie für Kinder im Vorschulalter entwickelt. Space Vets soll sie heißen und von einer Gruppe von Tierärzt*innen handeln, die selbst teilweise Tiere sind und durchs Weltall fliegen, um Missionen zu erfüllen. Die Charaktere designte der Regisseur Sebastian Ungrad mithilfe von KI, das Raumschiff der Space Vets wurde klassisch 3D-modelliert. Ein fünfköpfiges Team und die Autorin erstellten innerhalb von 60 Tagen eine Pilotfolge. Für einen Animationsfilm ist das unfassbar schnell. „Der deutsche Film wird oft belächelt, weil oft die gleichen Geschichten erzählt werden, und weil man sich so wenig traut“, sagt Hansel. „Das liegt aber natürlich an den extrem kleinen Budgets. Mit KI können wir mit gleich vielen Leuten viel größere Geschichten erzählen und die Produktionszeiten erheblich verkürzen.“

Albert Bozesan

Die Vorteile Künstlicher Intelligenz sieht man auch bei Leonine Studios in München. „Wir machen die ganze Firma KI-Ready“, sagt der Produzent Max Wiedemann, dessen Firma Wiedemann & Berg ebenfalls zum Unternehmen gehört. Es gebe Workshops für alle Mitarbeiter:innen, man sehe Potenzial, die Produktivität und Kreativität der Mitarbeiter*innen durch den Einsatz von KI-Tools zu steigern, aber: „Die generative KI ist noch weit entfernt von der kreativen Kontrolle und Qualität, die derzeit mit physischen Dreharbeiten erreicht werden kann. Vielleicht kommen wir an den Punkt, aber noch sind KI-generierte Videos keine Alternative für einen realen Spielfilm, höchstens für kurze Musik- oder Werbevideos, Mood-Trailer oder Klammerteile.“

„Diese Prävisualisierung kann dabei helfen, eine abstrakte Vision erlebbar zu machen“, sagt Max Wiedemann. Außerdem nutzen Autor*innen sie bei der Recherche und Arbeit am Drehbuch, auch um Ideen anhand virtueller Zielgruppen zu testen, die von der KI simuliert werden. „Wir sehen KI als Sparringspartner, der die Fähigkeiten unserer Mitarbeiter*innen erweitert“, so der Produzent. Nach den Dreharbeiten kann die KI dabei unterstützen, lippensynchrone internationale Fassungen beispielsweise für den US-Markt herzustellen. Dort sei man auf Lippen-Synchronität geeicht, anders als im deutschsprachigen Raum.

„Alle Tools haben einen überschaubaren Wert, wenn nicht fähige Kreative sie bedienen“, sagt Wiedemann. „Die Qualifikation von Produzent*innen und Künstler*innen wird weiterhin und mehr denn je gefragt sein, im Ping-Pong zwischen Mensch und Maschine entstehen die besten Ergebnisse.“

Max Wiedemann, Chief Business Development & Chief Production Officer, Produzent & Geschäftsführer Wiedemann & Berg Film & TV

Wissen und Handwerk bleiben unersetzlich, das wird in den Gesprächen deutlich, die für diesen Artikel geführt werden. „KI kann aus einem Foto ein 3D-Modell machen, aber wie man damit arbeitet, dafür braucht es weiterhin Menschen mit klassischen Film- und VFX-Skills“, sagt Bozesan. „Obwohl wir heute die technischen Möglichkeiten haben, viel effizienter und günstiger zu produzieren, arbeiten inzwischen viel mehr Menschen an einem durchschnittlichen Animationsfilm als damals bei Schneewittchen.“ Die Ansprüche der Zuschauer*innen seien gestiegen. Heute würden viel mehr Menschen in der Animationsbranche arbeiten als am Anfang. „So wird das auch mit KI sein.“

Neben dem Fachlichen ist es die Leidenschaft, die Menschen im Gegensatz zu Maschinen einbringen. „Eine KI hat keine Intention, einen Film zu machen“, sagt Hansel. „Kreative haben den Drang, etwas zu erzählen.“

In den kommenden Monaten wird es darum gehen, gemeinsame Standards für den Einsatz von KI in der Branche zu finden. „Wir brauchen einen ausgewogenen Ansatz zwischen dem Schutz geistigen Eigentums und der Förderung dieser neuen Technologien“, sagt Max Wiedemann. Ähnlich sieht man das bei Storybook Studios. „Wir müssen jetzt regulieren, was die KI in 15 Jahren können wird“, sagt Bozesan. „Technisch wird alles möglich sein.“ Ein wichtiger Punkt ist die Honorierung: „Wenn Modelle von Schauspieler*innen und Designs in die KI gespeist werden, die danach unbegrenzt oft benutzt werden, braucht es eine faire Form der Honorierung“, sagt Hansel.

KI beschäftigt die Branche wie kaum ein anderes Thema derzeit. Schauspieler*innen und Synchronsprecher*innen, Cutter*innen und Kostümbildner*innen fragen sich, wie neue Technologien ihre Arbeit verändern. Bei der Berlinale im Februar war KI Thema, zuletzt gab es beim Filmfest München mehrere Veranstaltungen zur Bedeutung von Künstlicher Intelligenz für die Fernseh- und Filmbranche. Die HFF München veranstaltet im November ein öffentliches KI-Symposium, dort gibt es schon seit 2022 einen Lehrstuhl für KI in der Medienproduktion.

Hansels Hoffnung ist, dass Künstliche Intelligenz die Branche demokratisieren wird. „Durch KI können wir Ideen schneller und besser umsetzen“, sagt sie. „Wir brauchen nicht mehr fünf Jahre für eine Idee, sondern setzen in fünf Jahren zehn oder zwanzig Ideen um.“

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Kathrin Hollmer
Fotos: Pantaleon Films, Leonine Studios
Redaktion: Olga Havenetidis
Digitales Storytelling und Gestaltung:
 Schmid/Widmaier

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