Pflicht-
programm

Es ist Halbzeit beim 39. DOK.fest München. Am 1. Mai 2024, dem Tag der Arbeit, ging es los, bis 12. Mai läuft das Programm in den Spielstätten und bis 20. Mai online. Mit der Eröffnung setze das Festivals den Ton an für alle weiteren Tage.
von Olga Havenetidis
6 Minuten Lesezeit

109 Filme aus 51 Ländern hat das Team des DOK.fest München für das Programm der diesjährigen Festivalausgabe ausgewählt. Darunter Filme aus den Ländern Kenia, Mongolei, Qatar, Libanon, Tunesien, Schweden, Norwegen, Indien, Belarus, Kosovo, Irland und Grönland. Viele davon sind Koproduktionen mit Beteiligung mehrerer Länder, auch untypischer Konstellationen, wie etwa Chazzling the dazzling light über die Flucht eines syrischen Filmemachers nach Schweden: Hier haben Produktionsfirmen aus Qatar, Schweden und Syrien zusammengearbeitet. Oder Our Land, Our Freedom über die Mau Mau-Freiheitskämpfer in Kenia: Deutschland, Kenia, Portugal. Oder The Pickers über die schädlichen Auswirkungen unseres ignoranten Konsumverhaltens an der Obst- und Gemüsetheke auf Umwelt und Menschen: Deutschland, Griechenland, Portugal. 

Das Programm des Festivals ist international; die Filme setzen sich mit virulenten Themen auseinander, zeigen ungewöhnliche Perspektiven, unterhalten, bringen uns Kunst näher. Kurzum: Vielfalt, das Wort der Stunde schon seit Längerem, liegt im Wesen sowohl des Genres Dokumentarfilm als auch der Dokumentarfilmfestivals im Allgemeinen und des DOK.fest München im Besonderen. 

Dies führte Moderatorin und DOK.fest München-Teammitglied Christina Wolf bei der Eröffnungszeremonie im Deutschen Theater vor rund 1.500 Gästen als Grund dafür an, dass das Festival kein Bekenntnis ablegen würde. Wobei ihre Worte die Prämisse sichtbar machten, dass alle Vielfalt, alles einander Zuhören, alle Offenheit, alles Nicht-Recht-haben-Müssen, alle Empathie innerhalb des demokratischen Rahmens liegen und zum Schutz und Erhalt der Demokratie beitragen. Es sei insofern sogar eine demokratische Pflicht, das DOK.fest München zu besuchen, die Vielfalt auf der Leinwand zu erleben, das Gespräch mit den Filmemacher*innen und dem Publikum zu suchen, Andersdenkenden zuzuhören mit dem Ziel, zueinander zu finden, sich vielleicht in der Mitte zu begegnen. 

Auch das Thema Inklusion und Awareness brachte die Moderatorin zur Sprache und benannte Aspekte, die Dank der Diversitätsdebatte breiter bewusst geworden sind. Der Ton war gesetzt, das Fundament geschaffen. Es war klar, dass alles Folgende, sowohl innerhalb des Eröffnungsabends als auch im Zeitrahmen bis zum Ende des Festivals, auf diesem Fundament stehen würde. Die Reden von Staatskanzlei-Leiter und Medienminister Dr. Florian Herrmann, des Zweiten Münchner Bürgermeisters Dominik Krause und des Leiters des Deutschen Theaters München Thomas Linsmayer handelten von der Bedeutung des Dokumentarfilms für die Demokratie, von den Chancen und Risiken von KI, nicht zuletzt feierten sie den Start des Festivals. Erinnert wurde an die Eröffnung vor zwei Jahren, als der Abend eines der ersten gesellschaftlichen Ereignisse nach den Jahren 2020 und 2021 war und mit Nawalny ein brisanter Film den Beginn des Festivals markierte. Nawalny läuft aus aktuellem Anlass auch in diesem Jahr wieder beim DOK.fest München.

Der Eröffnungsfilm 2024 hätte auch in anderen Jahren diese Rolle einnehmen können. Überwachung und KI sind schon länger Themen, über die gesprochen wird, gesprochen werden muss. Einen Eröffnungsfilm aus Deutschland hat es auch bereits gegeben in den Vorjahren. Recherchen von Journalist*innen waren in früheren Eröffnungsfilmen ebenfalls zu sehen. Trotzdem, und das ist das Besondere an Filmfestivals wie auch in allen anderen Institutionen, in denen sich kulturelle Rituale abspielen: Veränderungen werden sichtbar. Der Film Watching you – Die Welt von Palantir und Alex Karp löste mehr Beunruhigung im Publikum aus, als das vor mehreren Jahren vermutlich der Fall gewesen wäre. Was auch daran liegt, dass das Publikum mehr auf Augenhöhe mit dem Stoff zu kommunizieren in der Lage ist, denn mehr und mehr ist mittlerweile bekannt, das Publikum wird nicht nur auf ästhetischer Ebene seherfahrender, sondern ist auch auf inhaltlicher Ebene, zumindest beim Thema Technologie und Überwachung, informierter. Waren die Erfindungen der Technologie einst nur einigen wenigen, die damit professionell zu tun hatten, vorbehalten, so tragen heute die meisten die komplexesten Gerätschaften in ihrer Hosentasche – und kennen sich damit aus.

Eine Entwicklung hat auch das DOK.fest München selber hin zu mehr Größe und Wachstum vollzogen. Die Zahlen, die Festivalchef Daniel Sponsel bei der Pressekonferenz präsentierte, zeigen einen Knick nach Corona, aber eine Kurve nach oben im Vergleich zu den vorpandemischen Jahren. Das Beste aus etwas machen, das hat das Team beherzigt: Die Notwendigkeit während der Pandemie, das Festival ins Digitale zu transformieren und die meisten der Filme auf der digitalen Leinwand anzubieten, haben Daniel Sponsel und Adele Kohout umgewandelt in die Gelegenheit, ihre Reichweite zu vergrößern. Das DOK.fest München ist seither dual geblieben, auch weil das, wie der Festivalchef anmerkt, im Fall dieses Festivals, das internationale Dokumentarfilme zeigt, auch möglich ist.

So sind Dokumentarfilme mit explizit globalen Themen wie Watching you, aber auch Filme mit konzentriertem Fokus wie Waldkinder des Münchner Filmemachers Maximilian Plettau sowohl auf der digitalen Leinwand als auch im Kino zu sehen. Im Gegensatz zu verschiedenen Zeitebenen, die über Jahrzehnte gehen, und verschiedenen Ländern auf zwei Kontinenten, auf denen sich die Bilder in Watching you erstrecken, erzählt Waldkinder von einem kleinen Fleckchen im Englischen Garten, beobachtet ein Jahr lang zwei Handvoll Kinder und die Pädagog*innen dabei, wie sie mit Stöcken und Sägen, Feuer und Wasser aufwachsen.

Viele der Festivalfilme sind übrigens in Deutschland ausschließlich beim DOK.fest München sehen – das ihnen die nötige Sichtbarkeit geben will. Dies geschieht, wie bei jedem Filmfestival, allein schon durch die Tatsache, dass sie programmiert sind, aber auch durch weitere Aspekte wie Preisverleihungen. Einige Preisträgerfilme waren bei der Eröffnung bereits bekannt, die Jurys und die Filme wurden in diesem Rahmen gewürdigt. Weitere Preise, darunter die Hauptpreise und der FFF Förderpreis Dokumentarfilm, werden am 11. Mai verliehen. Die Liste der Förderer, Partner*innen und Sponsoren des Festivals ist lang, Preisstifter wie die Petra Kelly Stiftung, Sky Deutschland und der Bayerische Rundfunk bekamen die Gelegenheit, im Gespräch mit Christina Wolf ihre Beweggründe für das Engagement zu schildern. Dabei wurde deutlich, wie sehr dieses Genre quer durch die Institutionen den Verantwortlichen am Herzen liegt.

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text und Redaktion: Olga Havenetidis
Gestaltung: Schmid/Widmaier

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