Preis-
gekrön­tes
Paar

Mit Criticial Condition reisten sie im Mai 2025 erstmals nach Cannes: Der HFF München-Abschlussfilm von Autorin und Regisseurin Mila Zhluktenko sowie Filmemacher Daniel Asadi Faezi, der Critical Condition ediert hat, war in die Semaine de la Critique eingeladen worden. Ein Porträt der beiden jungen Talente, die im Team arbeiten.
Text von Anna Steinbauer
5 Minuten Lesezeit
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„Wir wollen die Narben des 20. Jahrhunderts erzählen“, sagt Mila Zhluktenko. Ob Wehrmachtskaserne, Straßenbahnhaltestelle oder Olympiadorf: Schauplätze historischer Verbrechen beschäftigen die in Kyjiw geborene Filmemacherin und ihren Partner Daniel Asadi Faezi schon seit geraumer Zeit. In ihren Arbeiten setzen sich die beiden HFF-Absolvent*innen mit unterschiedlichen filmischen Mitteln und aus verschiedenen Perspektiven mit Orten auseinander, an denen politisch motivierte Gewalttaten, Attentate oder Kriegsverbrechen stattfanden. Es gehe ihnen darum offenzulegen, wie die Vergangenheit in der Gegenwart wirke, so der aus Schweinfurt stammende Asadi Faezi: „Im Gegensatz zu einem Erinnerungsort hat das Medium Film die Möglichkeit, Zeit und Raum aufzubrechen.“

Regisseurin Mila Zhluktenko mit Editor David Asadi Faezi beim FFF International Press Dinner in Cannes

Der aktuelle Kurzspielfilm Critical Condition des preisgekrönten Künstler*innenpaares, das seit 2016 zusammenarbeitet, war jüngst auf der Semaine de la critique in Cannes zu sehen. Eine einzigartige Erfahrung für die beiden, die zum ersten Mal das Festivaltreiben an der Croisette erlebten. „Es ist ein tolles Gefühl auf einem Festival zu sein wie so viele Filmschaffende, die man bewundert, und gleichzeitig seinen Film dort zu zeigen“, findet Zhluktenko, die bei dem Film für die Regie verantwortlich zeichnet, während Asadi Faezi den Schnitt übernahm. Der auf 16 mm gedrehte 23-Minüter ist ihre Abschlussarbeit von der Filmhochschule und erzählt von der Ermordung des ukrainischen Verlegers und Politikers Lew Rebet, der am 12. Oktober 1957 am helllichten Tag  im Treppenhaus von seinem Büro am Münchner Stachus von einem KGB-Agenten mit Hilfe von Giftgas ermordet wurde. Was wie eine Szene aus einem Spionagefilm klingt, ist gleichzeitig ein kaltblütiges politisches Verbrechen und die traurige Realität des Kalten Krieges, die sich mitten in der Innenstadt ereignete. Die Lebensgeschichte von Rebet, einem ukrainischen Ausschwitzüberlebenden, der sich nach Kriegsende in München niederließ und mit seiner Zeitung der ukrainischen Selbstständigkeitsbewegung zum Sprachrohr der weltweiten ukrainischen Diaspora wurde, ist kaum bekannt – auch am Stachus erinnert nichts an das Verbrechen.

Die Ereignisse um den Publizisten nahmen Zhluktenko und Asadi Faezi zum Anlass, um von der Exilsituation von Ukrainer*innen damals und heute zu erzählen. Critical Condition nimmt markante Orte in Münchner zum Ausgangspunkt, um die unterschiedlichen Zeitebenen miteinander zu verweben. Zhluktenko, die selbst als Kind mit ihren Eltern nach Deutschland kam, wollte die Schichten der eigenen Geschichte an ihrem Lebensort abtragen, wie sie sagt: „Meine Initialzündung für den Film war der Gedanke, dass ich nicht die erste Generation ukrainischer Einwanderer bin, die durch die Straßen dieser Stadt läuft.“ Der historische Look der Schwarz-Weiß-Bilder, die in einem gängigen Format aus den 1950ern gedreht wurden, wird durch die moderne Kamerasprache gebrochen, die durch unseren heutigen Blick auf die Geschichte geprägt ist. So legen sich die Bilder der Stadt und die Bilder der ukrainischen Diaspora übereinander und verorten sich neu im Stadtgedächtnis.

Zhluktenko und Asadi Faezi haben beide Dokumentarfilmregie an der HFF München studiert, ihre Filme generieren sie aus der konstanten Recherche und Auseinandersetzung mit der Welt, wie sie erzählen. Die filmische Form ihrer Arbeiten entwickeln sie jeweils aus der Beschäftigung mit den Inhalten. „Wir genießen es sehr, in verschiedene Sparten reinzugehen und mal einen Spielfilm zu drehen, oder unsere Dokumentarfilme zwischen verschiedenen Stilen mäandern zu lassen“, sagt die gebürtige Ukrainerin. So vielfältig wie ihre filmischen Ansätze ist auch ihr Engagement: Zhluktenko ist nicht nur Teil des ukrainischen Filmkollektivs „Babylon‘13: Cinema of Civil Society“, das seit Beginn des russischen Angriffs Kriegsverbrechen an der Ukraine dokumentiert und welches sie von Deutschland aus mit Spendenaktionen, Material und Kontakten unterstützt. Sie und Asadi Faezi sind außerdem Mitherausgeber der Filmzeitschrift Revü und arbeiten als Scouts beim Filmfest München, wo sie das Programm um eine dokumentarische Perspektive erweitern.

Bei der Premiere von Critical Condition in Cannes

Mit Orten, an denen sich Geschichte räumlich verdichtet, setzen sich die beiden Filmemacher*innen in all ihren bisherigen Projekten auseinander. So richteten sie in ihrem Kurzdokumentarfilm Waking Up In Silence (2023) ihre Kamera auf eine ehemalige Wehrmachtskaserne, in der aktuell geflüchtete Kinder aus der Ukraine untergebracht werden. In ihrem 14-Minüter Rückblickend betrachtet, der unter anderem ebenso auf der Berlinale 2025 zu sehen war, beschäftigen sie sich mit dem Bau des Olympia-Einkaufszentrums und dem rechtsterroristischen Attentat von 2016 am selben Ort. Aus der Arbeit an diesem Kurzfilm entstand auch die Idee zur Videoinstallation overexposed/underexposed, die bis 19. Oktober im NS-Dokuzentrum zu sehen ist und acht Orte in München sichtbar macht, an denen rassistisch motivierte, rechtsextreme und antisemitische Terroranschläge nach 1945 stattfanden.

„Wir versuchen Geschichte nicht historisch-chronologisch zu erzählen, sondern eher assoziative Verbindungen herzustellen“, sagt Asadi Faezi über ihre Herangehensweise. Oft beeinflussen ihre Werke sich auch gegenseitig, da sie zeitlich parallel stattfinden oder sich auseinander ergeben. Wie bei ihrem nächsten Projekt Lagerkontinuität, Asadi Faezis Debütfilm, den sie gerade abwechselnd drehen und schneiden und das den Ort aus ihrem Kurzfilm Walking up in Silence weitererzählt. Ende 2026 soll der essayistische Dokumentarilm fertig sein, der sich mit der Geschichte eines Kasernenareals in Schweinfurth beschäftigt, das in den 1930er-Jahren von der Wehrmacht gebaut wurde, nach dem Zweiten Weltkrieg in ein DP-Lager umfunktioniert, dann von der amerikanischen Besatzungsmacht als US-Army-Base weitergenutzt wurde und seit 2015 eine Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete ist. „Die Kaserne ist wie ein eigenes Archiv, überall an den Wänden findet man Fresken der Nazis, amerikanische Malereien, Kritzeleien von ukrainischen Kindern. Alles steht miteinander im Dialog“, so Asadi Faezi über den neuen Film. Vielleicht ist genau das das Geheimnis des Erfolges der beiden Filmemacher*innen: Mit offenen Augen durch die Welt zu gehen mit Blick für die Kuriositäten, Zusammenhänge und die Gleichzeitigkeit, die einem die Welt bietet.

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Anna Steinbauer
Redaktion: Olga Havenetidis
Gestaltung und digitales Storytelling: Schmid/Widmaier

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