Radies­chen­röschen für Berghaus­Wöbke

Der FFF-geförderte Film 22 Bahnen ist die Adaption des gleichnamigen Bestsellers von Caroline Wahl. Im September startet er in den Kinos.
Text von Kathrin Hollmer
Z

Zwei Wochen, um den Pitch vorzubereiten. Knappe Kiste, aber die Produzent*innen Anna-Malike Eigl, Thomas Wöbke und Philipp Trauer waren angefixt. Es war August 2023, Eigl hatte gerade den Roman 22 Bahnen gelesen. Das Debüt von Caroline Wahl war im April erschienen und hielt sich fast 40 Wochen auf der Spiegel-Bestsellerliste. Eigl erzählte ihren Kollegen von der BerghausWöbke Filmproduktion davon, die das Buch dann ebenfalls lasen. Auch sie waren begeistert.

BerghausWöbke feierte im vergangenen Jahr einen großen Erfolg mit dem FFF-geförderten Kinofilm September 5, der für einen Oscar für das beste Original-Drehbuch nominiert war und beim Deutschen Filmpreis mit neun Lolas sowie mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet worden ist. Ende 2023 war die Postproduktion in den letzten Zügen, der Film feierte im Sommer darauf bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig Premiere. Parallel dazu bewarb sich die Münchner Produktionsfirma um die Filmrechte an 22 Bahnen.

Viele Firmen waren interessiert, die Frist für den Pitch lief nur noch zwei Wochen. „Wir hatten zu dem Zeitpunkt keine Autorin, keine Regisseurin, nur Ideen“, sagt Eigl. Sie und Wöbke sitzen im Café unter ihrem Containerbüro im Kreativquartier am Leonrodplatz, und erzählen, wie sie Moodboards mit Bildern und Referenzfilmen präsentiert haben. Und wie sie Ende 2023 den Zuschlag bekamen.

Kurz vorher hatte sie die Romanautorin Caroline Wahl in München besucht. „Ich glaube, Caro hat gespürt, dass wir ihren Stoff wirklich lieben und dass es uns ernst damit war, mit den Arbeiten unverzüglich zu starten, um den Film im Sommer `25 ins Kino zu bringen.“, sagt Eigl. Sogar Radieschenröschen hätten die Produzent*innen für sie geschnitzt, ergänzt Wöbke.

(c) Gordon Timpen

Dazu muss man wissen, dass Radieschenröschen eine wichtige Rolle in 22 Bahnen spielen. Im Roman geht es um Tilda, die neben dem Mathematikstudium an der Supermarktkasse sitzt. Während ihre Freunde nach dem Abitur die triste Kleinstadt verlassen haben, sitzt sie fest, weil sie sich um ihre kleine Schwester Ida und um ihre alkoholkranke Mutter kümmert. In guten Phasen schnitzt ihre Mutter Radieschenröschen für die Schwestern und sitzt mit ihnen am Abendbrottisch, in schlechten müssen sich die Töchter um sie kümmern – oder gehen der Mutter lieber aus dem Weg. Nur beim täglichen Schwimmen im Freibad kann Tilda richtig abschalten. „22 Bahnen Ruhe, 22 Bahnen, die nur mir gehören“, wird Tilda später im Film sagen. Dann bekommt sie eine Promotionsstelle in Berlin in Aussicht gestellt und Viktor, der große Bruder ihres Freundes Ivan, der vor Jahren bei einem Unfall ums Leben kam, taucht im Freibad und in ihrem Leben auf. Und Tilda beginnt, für sich einzustehen.

Nach dem Zuschlag musste erneut alles schnell gehen, schließlich wollte das Team bereits 2024 drehen. „Das Buch war so präsent, wir wollten nicht warten“, sagt Wöbke. Mit Elena Hell (Sisi) fanden sie eine Drehbuchautorin und mit Mia Maariel Meyer (Die Saat, Transatlantic, Push) eine Regisseurin, die ihre Begeisterung teilten. Meyer hatte selbst darüber nachgedacht, sich um die Filmrechte zu bemühen. Als die Taschenbuchausgabe des Romans eine Woche nach der Veröffentlichung auch noch auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste landete: „Das war gleichzeitig ein Push und auch zusätzlich Druck“, sagt die Regisseurin Mia Maariel Meyer am Telefon. „Einen Roman zu verfilmen, der so viele Fans hat, ist eine große Herausforderung. Als Filmemacher*in hat man davor großen Respekt.“

„Mit am schwierigsten bei der Adaption war es – wie wahrscheinlich immer – zu entscheiden, was man weglassen kann, ohne etwas Essenzielles zu verlieren“, sagt Eigl. Die Drehbuchautorin Hell und die Regisseurin Meyer wollten in der Verfilmung nah am Buch bleiben, aber dennoch ihr eigenes Ding daraus machen. Sowohl die beiden als auch Wöbke und Eigl schwärmen am Telefon vom Austausch mit Caroline Wahl, die nicht selbst am Drehbuch mitschreiben wollte. „Sie las eine fortgeschrittene Drehbuchfassung und gab gutes Feedback, auch das Casting hat sie interessiert“, erzählt Wöbke. „Später hat sie das Set besucht.“

Mit die größte Herausforderung sei das kurzfristige Casting gewesen, erzählen Eigl und Wöbke. Viele Schauspieler*innen sind über Monate und teilweise Jahre hinaus verplant. Dabei sind es anspruchsvolle Rollen. Tildas kleine Schwester Ida zum Beispiel, die in sich zurückgezogen ist, aber gleichzeitig eine große Kraft in sich hat, wird von Zoë Baier wunderbar verkörpert. Ebenso bestechend ist Luna Wedler in der Hauptrolle. „Die Romanfigur ‚Tilda‘ überzeugend darzustellen, ist sehr anspruchsvoll. Nach außen hin erscheint sie eher passiv, dabei spielt sich in ihrem Inneren jedoch so viel ab. Luna bringt das alles in ihrem Gesicht, mit ihrer Mimik zum Ausdruck, das ist wirklich eindrucksvoll“, sagt Wöbke. Luna Wedler habe damals aus dem Urlaub ein E-Casting geschickt, das die Produzent*innen sofort überzeugt hat. Laura Tonke gibt Andrea, der alkoholkranken Mutter der Schwestern, eine bestechende Ambivalenz. Im Buch nennt Wahl sie oft „das Monster“. „So wie im Buch ist es auch im Film: Man leidet mit der Mutter mit. Man spürt ihre innere Verzweiflung, die Alkoholsucht nicht loszuwerden, aber die Liebe zwischen ihr und ihren Töchtern ist unerschütterlich“, sagt Eigl.

(c) Gordon Timpen

Es ist eine Stärke sowohl des Romans als auch des Films, dass man viele Themen daraus lesen und darin sehen kann, ohne dass der Stoff überfrachtet wirkt. Für Meyer stehen die „Liebesgeschichte zweier Schwestern“ sowie die Dreierkonstellation mit der Mutter im Vordergrund. Ihr war ein sensibler Blick auf das Thema Alkoholismus, insbesondere bei Frauen, wichtig. „Das kommt in allen Schichten vor, aber die meisten schauen da nicht so gerne hin“, sagt sie. Die Figur der Mutter, Andrea, habe eine Tiefe, auch das sei wichtig, damit sich Zuschauer*innen in sie hineinfühlen können. Für Hell ist Tildas Trauma zentral, der Tod von Ivan und die Schuld, die sich Tilda dafür gibt. „Durch Viktors Auftauchen bekommt sie die Chance, abzuschließen und zu wachsen“, sagt sie am Telefon. Tildas Erzählstimme im Roman wird durch Voice-over eingebaut. „Im Roman bringt Tilda Humor ein durch den Kontrast aus dem, was sie über die Dinge denkt und dem, was sie dann wirklich sagt“, so Hell. „Diese Ebene war uns auch im Film wichtig.“

2024 wurde der Film mit FFF Produktionsförderung realisiert. Die Handlung spielt in einer nicht näher genannten Kleinstadt irgendwo in Deutschland. Gedreht wurde in München und Umgebung sowie in Berlin. „Es war eine der schwierigsten Aufgaben, ein Hochhaus in Berlin zu finden, auf dessen Dach man filmen darf, auf dem man aber keinesfalls Berlin wiedererkennen sollte“, sagt Wöbke. Auch die Supermarkt- und Kneipenszenen wurden in Berlin gedreht sowie die in der Wohnung von Andrea und den Schwestern. Das Produktionsteam richtete sie in einem leerstehenden Haus in Berlin ein. „Die Mutter verlässt diese Wohnung fast nie, es ist eigentlich ihre Höhle. Sie sollte aber nicht nur düster sein, denn Tilda und Ida haben sie zu einem liebevollen Zuhause gemacht“, sagt Eigl. In München und Umgebung waren unter anderem die Fachhochschule und der Fasanenpark Drehorte für 22 Bahnen. Ein bedeutender Teil der Dreharbeiten fand in Gauting statt, darunter auch die besonders aufwendigen Szenen im örtlichen Sommerbad. Nach Saisonende Mitte September rückte das Filmteam an. „Wir hatten genau diese eine Woche“, sagt Eigl. Danach wird das Freibad winterfest gemacht, Nachdrehs waren ausgeschlossen, alles musste nach dieser Woche im Kasten sein, „das war schon ganz schön riskant.“

(c) Gordon Timpen

Bei den vielen Unwägbarkeiten, die so ein Filmdreh mit sich bringt, gab es auch positive Überraschungen: Von Luna Wedler erfuhren die Produzent*innen wenige Woche vor Drehbeginn am Rande, dass sie Schwimmmeisterin in Zürich war – „Das war echt eine Fügung“, sagt Eigl. Viktor-Darsteller Niewöhner nahm Schwimmtraining. Für beide Schauspieler*innen gab es Schwimm-Doubles, doch in den meisten Szenen im Film sind sie selbst zu sehen, wie sie kraulen und tauchen.

Im Film wie im Buch regnet es die meiste Zeit, wenn Tilda im Freibad ist. Dafür sorgten SFX-Regenanlagen. Der technische Aufwand war enorm, doch er hat sich gelohnt. BerghausWöbke hat bereits die Rechte für den zweiten Roman von Caroline Wahl, Windstärke 17, der die Geschichte von Tildas Schwester Ida weitererzählt. 2026 soll gedreht werden.

22 Bahnen läuft ab 4. September 2025 im Kino im Verleih von Constantin Film.

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Kathrin Hollmer
Redaktion: Olga Havenetidis
Gestaltung und digitales Storytelling: Schmid/Widmaier

Zum nächsten Artikel

Oberflächen kopieren,
Freude einfügen