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Das Münchner Start-Up Atopia macht Kunst mit einer preisgekrönten FFF-geförderten XR Anwendung virtuell und interaktiv erlebbar. Dazu gehören auch Werke aus einem der weltweit führenden Museen.
Text von Jürgen Moises
6 Minuten Lesezeit
(c) Atopia

Wer heute Kunst sehen will, muss in München nur ins nächste Museum gehen. Ein Luxus. Nur unter Corona war genau das nicht mehr möglich. In der Folge wurden die Menschen in die virtuelle Welt geschickt. Ins „Second Life“. Zu Google Arts & Culture. Oder in die Online-Viewing-Rooms, die für die Art Basel entwickelt wurden. Da gab es dann Kunst. Aber das oft nur als Fotos und meist noch verpixelt. „Die Qualität war meistens schlecht“. So hatte es auch Annabell Vacano damals empfunden. Die junge Münchnerin und ausgebildete Geigerin hatte da noch BWL an der LMU studiert. Und Atopia lag da noch ein Stück weit in der Ferne. Im Jahr 2023. Da hat sie ihr Virtual-Reality-Startup zusammen mit Valentin Diehl gegründet. Ihre Idee: Kunst auf eine Art in virtuelle Welten zu überführen, dass sie dort zum Erlebnis, zu einem echten Mehrwert wird.

(c) Atopia

Oceania 

Spricht man Annabell Vacano auf Corona an, dann sieht sie die Pandemiezeit tatsächlich als wichtigen Markstein. Als einen „Umbruch in der Kulturindustrie“, wie sie am Telefon erzählt. Weil dadurch „viele Museen einfach angefangen“ hätten, mit Virtual Reality zu experimentieren. Aber der konkrete Anstoß für Atopia, verrät sie, war ein anderer. Und zwar die Veröffentlichung des VR-Headsets Meta Quest 2 (früher Oculus Quest 2), das das private Abtauchen in virtuelle Welten erschwinglich gemacht hat. Für Atopia braucht man so ein Headset. Aber auch mit einem PC oder Notebook kommt man über die Website atopia.space hinein. Was aber nicht so eindringlich gerät. Weil die Immersion, das wirkliche Raumempfinden fehlt.

(c) Cindy Ngo

Annabell Vacano

Was man in Atopia sieht oder dort findet? Wenn es nach Vacano geht irgendwann mal „alle Museen, Galerien, historischen Stätten und Bühnen der Welt“. Und aktuell? Zum Beispiel die Ausstellung „Pastel Dreams“ der Münchner Galerie Rüdiger Schöttle, Werke aus der Wiener Gallery Lohaus Sominsky oder aus dem Aargauer Kunsthaus in der Schweiz. Man betritt dafür verschiedene virtuelle Räume, die etwa im Falle der Galerie Schöttle weitgehend reale Räume simulieren. Im Falle von „Fusion“ kann man sich Werke von Fee Gunkel in einer „Sphäre“, einem fiktiven Kuppelsaal ansehen. Und bei „Afterworld“ hängen Meisterwerke von Courbet oder van Gogh an weißen Wänden in der Wüste.

Betreten lassen sich diese Räume allesamt umsonst. Weil die Galerien und Museen das Ganze erst mal „als Marketing nutzen“, wie Vacano meint. Oder um damit auf neue Art ein neues Publikum zu erreichen. Und das können ganz unterschiedliche Virtual- oder Extended-Reality-Formate sein. „Manche Museen denken aber auch nach, das irgendwann zu monetarisieren.“ Aber zunächst müssen sie dafür selber in die Tasche greifen. Aber das nicht übermäßig tief. „Eine Premiumausstellung gibt es bei uns ab 150 Euro im Monat“, erzählt Vacano. Was sie dafür bekommen, ist im Grunde eine komplette virtuelle „Infrastruktur“. Und das ist das eine, was Atopia, für das Vacano und ihr Team 2023 vom FFF Bayern eine XR Produktionsförderung in Höhe von 80.000 Euro erhalten haben, für Museen und Galerien interessant macht.

„Das Herzstück von Atopia ist unsere No-Code-Software“, so Vacano. „Die funktioniert folgendermaßen: Für ein Museum bauen wir eine virtuelle Umgebung, das kann ein digitaler Zwilling sein. Wir haben zum Beispiel für das Aargauer Kunsthaus deren Architekturdaten genommen, wir können das aber auch von Bildern und Grundrissen her entwickeln.“ Und dann? „Sie loggen sich ein, wählen sich diese Umgebung aus oder nehmen eines von unseren Templates. Sie laden ihre Kollektion hoch, sowohl 2D als auch 3D, und können diese dann intuitiv im Raum platzieren, können Informationen hinzufügen, Informationsbilder, Pop-ups, auch alle möglichen Interaktions-Features. Und sie können das ohne Softwarekenntnis und in einem Klick sowohl für VR-Brillen als auch in Webbrowsern veröffentlichen.“

Sogar KI-Kuratoren lassen sich auf Wunsch dazu wählen. Die einem dann die Kunst näher erklären. Und dieses Gesamtpaket hat nicht nur den FFF Bayern überzeugt. Sondern auch zwei Venture Capital Fonds aus Finnland und London, die auf XR- und Spatial-Computing-Firmen spezialisiert sind,  die Firma Heartfeld Capital aus Berlin und mehrere Privatinvestoren. Auch die Stadt München war von Atopia so überzeugt, dass sie Vacano und ihrem sechsköpfigen, weitgehend aus der Games-Branche stammenden Team (Mitgründer Valentin Diehl ist inzwischen ausgeschieden) im Juli den mit 10.000 Euro dotierten „Innovationspreis 2025“ verliehen hat. Vorausgegangen war dem die Challenge „Public Art Digital Experience“, wo es darum ging, „temporäre Kunst im öffentlichen Raum nachhaltig und digital erlebbar zu machen“.

(c) Michael Nagy/Presseamt München

Für Atopia gab es den Innovationspreis der Stadt München. Annabell Vacano mit Kulturrefent Marek Wiechers und dem 2. Bürgermeister Dominik Krause

Die Grundlage dafür ist ein bereits bestehendes 3D-Modell der Stadt München. „Wir bauen das zu einer digitalen Kunstplattform um und schaffen daraus eine digitale Ausstellungsfläche, auf der dann Kunstinteressierte aus München, aber auch aus anderen Orten diese Public-Art-Experiences erleben können.“ Für Vacano ein tolles Projekt. Aber zugleich auch eines, das Aufmerksamkeit schafft. „Wir haben dadurch tatsächlich ein paar Kunden bekommen.“ Für mehr Aufmerksamkeit dürfte aber ein anderes, frisch abgeschlossenes Projekt sorgen.

(c) Atopia

Dendur Act

„Wir haben mit einem der größten Museen der Welt über die letzten Monate zwei ganz tolle Ausstellungen gebaut“, erzählt Vacano. Gemeint sind damit die immersiven Erlebnisse Dendur Decoded und Oceania für das Metropolitan Museum in New York. „Das sind Formate, die sind zum ersten Mal virtuell so möglich. Unter anderem stellen sie ihre ozeanische Sammlung in einem ozeanischen Garten dar.“ Wie es dazu kam? „Ich habe die tatsächlich auf LinkedIn angeschrieben. Und das Schöne war: Die haben gerade genau so etwas gesucht und hatten das Gefühl, dass alle bestehenden Plattformen wie Spatial oder Roblox nicht geeignet sind, um Kunst so darzustellen, wie es Kuratoren gerne machen.“ Mit Atopia ging das. Auch weil das Museum sich als „aktiver Entwicklungspartner“ beteiligt hat. So hat sich das Ganze für beide Seiten als Glücksfall entpuppt. Und als weiterer Markstein in der jungen Atopia-Geschichte.

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Jürgen Moises
Redaktion: Olga Havenetidis

Gestaltung und digitales Storytelling: Schmid/Widmaier

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