„Reich
wird
man von
Festival­arbeit
nicht.“

Filmfestivals als Arbeitgeber der Kreativbranche: Eine FFF-geförderte Tagung der AG Filmfestival widmete sich den Chancen und Heraus­forderungen der Festivalarbeit
Text von Dunja Bialas
7 Minuten Lesezeit

„Ich kann es mir nicht leisten, für Euch zu arbeiten.“ Diesen Satz hat Thorsten Grieser schon oft gehört. Der für die Finanzen der Internationalen Münchner Filmwochen GmbH verantwortliche CFO erzählt von erheblichen Budgetlimits, wenn das Filmfest München neue Mitarbeiter engagieren will. Grieser machte den Auftakt zur Tagung „Filmfestivals als Arbeitgeber der Kreativbranche“, zu dem die AG Filmfestival im Mai nach München eingeladen hatte. Der Think Tank mit Vorträgen und Workshops fand im Rahmen von DOK.forum statt, der Industrieplattform des DOK.fest München. In den Räumen der HFF München fungierte der scheidende DOK.fest-Leiter und künftige HFF-Präsident Daniel Sponsel als Gastgeber, gefördert wurde die zweitägige Veranstaltung vom FFF Bayern.

Detaillierte Einblicke in einzelne Filmfestivals gaben Aufschluss über die Arbeitsweisen der sehr unterschiedlich agierenden Player, darunter das überregionale Frankfurter Lichter Filmfest, die regionale Regensburger Kurzfilmwoche und das Filmfest München als zweitgrößtes internationales Filmfestival Deutschlands. Konkrete Zahlen ergaben eine „institutionalisierte Mangelverwaltung“, wie Grieser anmahnte. Das fehlende Geld und das herausfordernde Arbeiten an der Grenze zur Fremd- und Selbstausbeutung waren kritische Punkte, die in allen Festival-Ligen thematisiert wurden und großen Handlungsbedarf erkennen ließen. Zielpunkt der Tagung war, Ideen für eine gemeinsame Jobbörse aufzusetzen, und am Ende konnte sich die angereiste Festivalbranche sogar zu verhaltenem Optimismus durchringen. Der Tenor: Wir müssen aus dem Mangel das Beste machen.

„Wir müssen aus dem Mangel das Beste machen.“

Dabei kommen Festivals in der Film-Auswertungskaskade eine zentrale Bedeutung zu, darüber ist sich die Branche seit langem einig. National betrachtet aber bilden Festivals auch oft schon die Endstation, gab DOK.fest-Leiter Daniel Sponsel in seiner Keynote zu bedenken. Selbst bei der hohen Summe von 700 in den Kinos gestarteten Filmen im Jahr 2024 blieben nur etwa ein Fünftel der in Deutschland gezeigten Festivalfilme weiterhin sichtbar. Hier hakte Matthias Helwig ein, der als Leiter des Fünf-Seen-Filmfests sowie Betreiber der Breitwand-Kinos sprach. Um als Kinobetreiber*in erfolgreich zu wirtschaften, müsse man die Arbeitsweisen eines Festivals nachbilden, erläuterte er: „Ein Festival hat das Ereignis“, das Kino habe das erst einmal nicht. Das Event jedoch sei wichtig, will man die Zuschauer mobilisieren. Um das zu erreichen, braucht man neben einer Finanzierung auch Fachkräfte. Beides sei Mangelware, im Kinobetrieb sowie in der Festivalbranche.

Das versuchen die Festivals durch Attraktivität der angebotenen Jobs aufzufangen. Grieser stellte das Filmfest München als „flexible Festivalstruktur“ vor, die Einblicke in verschiedene Tätigkeitsbereiche gewährt und die Hierarchien durchlässiger macht. Die faire Behandlung von engagierten Mitarbeiter*innen sei entscheidend, um die Zusammenarbeit nachhaltig werden zu lassen. Das heißt nach Grieser auch „Grenzen ausloten, aber nicht darüber hinausgehen.“ Übersetzen ließe sich das in: So viel Ausbeutung wie nötig, so wenig wie möglich. Ein ungeschönter Aspekt der „Mangelwirtschaft“.

„Grenzen ausloten, aber nicht darüber hinausgehen.“

Ergänzt wurde dies durch den Erfahrungsbericht von Laura Undisz, Mitglied der unter dem Dach von ver.di agierenden AG Festivalarbeit. Sie war eine der wenigen, die auf der Tagung den Arbeitnehmer*innen eine Stimme gab. Seit fünf Jahren arbeitet sie hauptberuflich bei verschiedenen Filmfestivals mit wechselnden Verträgen, als Vergütung bekommt sie nach eigenen Angaben „Mindestlohn plus X“. Sie wies auf das Problem hin, dass z.B. Kuration von der Künstlersozialkasse noch nicht vollständig anerkannt sei und sich damit auch die Problematik der Krankenversicherung stelle. Die Unterschiede zwischen einem Freelancer und einem Angestellten seien daher oft weitreichender, als allein die geringe Entlohnung und die kurzfristigen Verträge vermuten lassen. Sirkka Möller vom „Fair Festival Award“ der AG Festivalarbeit beziffert fast 70 Prozent der Arbeitsverhältnisse als prekär. Nur knapp ein Viertel leben ganzjährig von der Festivalarbeit, und fünf Prozent sind auf staatliche Transferleistungen wie das Bürgergeld angewiesen, bei zugleich sehr hoher Qualifikation: 75 Prozent der Festivalarbeiter*innen haben einen Hochschulabschluss in der Tasche.

Der Festivalsektor befördert also ein kulturelles Prekariat. Hinzu kommt der Gender Gap zwischen den überwiegend männlichen technischen, besser bezahlten Mitarbeitern und den weiblichen Kulturdienstleistenden. Rechnet man noch die Schar unbezahlter Volunteers und ehrenamtlicher Mitarbeiter*innen ein, die ein Festival überhaupt erst durchführbar machen, lässt sich mit Möller „systemische Unfairness“ konstatieren. Das ist ein Blick auf die Arbeitsverhältnisse, der deutlich nüchterner ist als das Bonmot von Thorsten Grieser ausfällt: „Reich wird man von Festivalarbeit nicht.“

Das Arbeitsrecht wiederum setze Arbeitgeber*innen auch Grenzen, so Grieser. Man müsse die Scheinselbständigkeit im Blick behalten und jongliere deshalb mit befristeten Arbeitsverträgen. Die Einhaltung des Arbeitsrechts fordere heraus, „bis ans Maximum des Machbaren“ zu gehen. Die Arbeitszeitbegrenzung aber könne man am Peak der Vorbereitungen und während des Festivals gar nicht einhalten – auch dies wurde selten so offen formuliert.

Gerhard Wissner vom Kassler Dokfest erklärt STEP

Die AG Festivalarbeit macht Pause: Sirkka Möller (li.) und Laura Undisz

Dieter Krauss, Vorstandsmitglied der AG Filmfestival, und Matthias Helwig vom Fünf-Seen-Filmfest

Gastgeber Daniel Sponsel und Florian Weghorn, Stabschef der Berlinale

Ludwig Sporrer von der AG Filmfestival, Sergej Gordon und Sven Pötting von den Lateinamerikanischen Filmtagen

Das spüren Festivalmitarbeiter*innen auch am eigenen Leib. Zwei ehemalige Festivalarbeiterinnen erzählen von dringenden Mails und Handy-Nachrichten bis Mitternacht, vom großen Erfolgsdruck, der zu langen Arbeitsmonaten führt. Es folgte der Burnout mit Krankschreibung, schließlich die Abkehr von der Festivalarbeit. Denn gleichzeitig war der Verdienst so gering, dass weitere Jobs nötig waren, die Saisonalität der Festivalarbeit wiederum machte es schwierig, die Zeit zwischen den Festivals zu überbrücken.

Trotz solcher Erfahrungsberichte, die keine Einzelfälle sind, bleibt es für viele Arbeitssuchende in der Kulturbranche ein Traumjob, für ein Festival zu arbeiten. Grieser erklärt das mit der Attraktivität der Kultur, die „einen Wert habe, der sich nicht in Euro und Cent bemessen lässt“. Darauf setzen bei der Akquise von Mitarbeiter*innen auch die Festivals, die sich vor allem für junge Arbeitnehmer*innen empfehlen. „Mobilität und dynamisches Arbeiten“ seien notwendige Skills, um Erfahrungen zu sammeln und Festivals als „Sprungbrett“ zu nutzen.  In eine höhere Honorarklasse innerhalb der Festivals kommen viele trotz langjähriger Expertise jedoch meist nicht.

Die Arbeitgeber*innen denken lieber an ein anderes Modell für den Aufstieg als an das Prinzip „Vom Tellerwäscher zum Millionär“. Florian Weghorn, Stabschef der Berlinale, stellte Festivals als „live changing experience“ vor. Die inhaltliche Arbeit von „Berlinale Talents“ übersetze sich in eine „agile Involvement-Praxis“, bei der ehemalige Alumni als Kuratoren eingesetzt werden. Festivals könnten so ihre eigenen Mitarbeiter*innen ausbilden und eine genuine Attraktivität erhalten. Gerhard Wissner vom Kasseler Dokfest kam mit einem Programm der Hessen Film & Medien. Das 2020 eingerichtete STEP fördert die Weiterbildung, die Vergabe von Stipendien sowie die Branchenqualifizierung, die im Rahmen von Filmfestivals angeboten werden. Das habe dazu geführt, dass das Kasseler Dokfest nun ohne Praktika auskommt und vollsubventionierte Branchenqualifizierungsstellen anbieten kann – die mit dem Mindestlohn vergütet werden. Das bislang nur für Hessen aufgelegte Programm stieß hinsichtlich seiner Lösungsrelevanz auf großen Zuspruch der Tagungsteilnehmenden.

„Wenn wir nicht von unseren Berufen leben können, welche Zukunft haben dann Festivals?“

Bis Festivals jedoch als Ausbildungsstätten ihrer eigenen Fachkräfte wirken können, bleiben sie darauf angewiesen, dass Festivalnomad*innen bei ihnen anheuern. Im Hinblick auf die Zielvorgabe der Tagung stellte sich die Jobbörse von Crew United vor, die streng über die Qualität der bei ihnen angebotenen Jobs wacht. Auch gute Festivaljobs könnten hier integriert werden. Die finden sich auch bei der Initiative „Kino & ich“.

Am Ende der Tagung einigte man sich auf eine stärkere Selbstorganisation, um die strukturellen Schwächen aus geringer Finanzierung und Fachkräftemangel abzufangen. Für eine Jobbörse – die sich nach Möglichkeit in eine bestehende Plattform integrieren ließe – sollen Jobprofile erstellt werden, die für viele Festivals gleichermaßen anfallen, wie zum Beispiel die Gäste- und Saalbetreuung oder das Ticketing. Außerdem sollten auch im freiberuflichen Bereich Arbeitsverträge geschlossen werden und sich profil- und zeitnahe Festivals zusammentun.

Bei aller Einigung könnte sich die Situation jedoch angesichts der Kürzungen in der Kulturbranche noch verschärfen. In Frankreich mobilisierte zur feierlichen Cannes-Eröffnung das Arbeiterkollektiv „Sous les écrans, la dèche“ („Hinter den Leinwänden die Not“). Projektionist*innen, Programmer*innen und Gästebetreuer*innen fragten: „Wenn wir nicht von unseren Berufen leben können, welche Zukunft haben dann Festivals?“

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Dunja Bialas
Redaktion: Olga Havenetidis
Gestaltung und digitales Storytelling: Schmid/Widmaier

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