Risiken tragen,
um künstle­rische
Freiheit zu
ermöglichen

Mit ihrem HFF München-Abschlussprojekt "früher oder später" machte Autorin und Regisseurin Pauline Roenneberg die Filmbranche auf sich aufmerksam. Nun folgt mit "Kalter Hund" ihr gefördertes Debütprojekt, das sie mit ihrer jungen und eigenen Produktionsfirma Milk Pictures koproduziert.
von Anna Steinbauer
6 Minuten Lesezeit

Der Opa stirbt. Die Oma ist wütend. Vor allem deshalb, weil er mit seinem Tod ihre Pläne durchkreuzt: Die Verwandtschaft aus England kommt zum Mittagessen, der Besuch steht schon lange fest. Alle Familienmitglieder werden darauf eingeschworen, den toten Großvater als krank zu verleugnen. Das Essen findet statt, direkt über dem Tisch – nur ein Stockwerk höher – liegt der Tote. Die ganze Zeit über sind alle damit beschäftigt, die englischen Verwandten davon abzuhalten, kurz im oberen Stockwerk vorbeizuschauen.

Diese traurig-komische Begebenheit ist nicht nur der fulminante Beginn ihres Debütfilmstoffs Kalter Hund, an dessen Verwirklichung die Filmemacherin Pauline Roenneberg derzeit arbeitet. Es ist auch eine wahre Geschichte, die sich so oder so ähnlich ereignete, als ihr Großvater starb. „Der Stoff fängt sehr autobiografisch an und wird dann stark fiktionalisiert.“, sagt Roenneberg über ihr vom FFF gefördertes Mumblecore-Projekt, das als Kooperation mit der österreichischen Filmproduktion Horse&Fruits und der Construction Film geplant ist.

Pauline Roenneberg. Foto: privat

Pauline Roenneberg, in früheren Jahren

Wie es dazu kam, dass sie nun an einem Projekt arbeitet, das autobiografische Züge trägt und eng mit Roennebergs beruflicher Situation verknüpft ist, hängt vor allem mit den Entwicklungen des letzten Jahres zusammen. Als eine von drei Initiator*innen der Aktion „Angst essen Kino auf“, machte sie öffentlichkeitswirksam darauf aufmerksam, was vielen in ihrer Generation auf dem Herzen lag: Die Schwierigkeiten von Nachwuchstalenten, ihren Debütfilm zu machen, besonders für die, die ihr Filmstudium kurz vor Corona abschlossen hatten. Dies war der finale Anstoß für einen bisher nicht gewagten Schritt: Zusammen mit ihrem langjährigen Kollegen Felix Bärwald gründete Roenneberg die Produktionsfirma Milk Pictures, um in Zukunft Filme den eigenen Vorstellungen entsprechend realisieren zu können.

Kalter Hund beschäftigt sich mit transgenerationalen Traumata und damit, wie sich Familiengeheimnisse in den nächsten Generationen fortsetzen, weil nicht darüber gesprochen wird. Im Film zwingt eine 17-Jährige ihre Verwandtschaft dazu, gemeinsam eine Familienaufstellung zu machen, nachdem mit dem Tod ihres Großvaters Abgründe ans Licht gekommen sind. Roenneberg nahm selbst bei einer Familienaufstellung teil. Diese Erfahrung, die sie als faszinierend und fragwürdig zugleich empfand, floss unmittelbar in ihr Drehbuch ein. 

„Der Film soll schmerzhaft-böse aber auch irre komisch werden,“ sagt sie. Die schwarze Mumblecore-Komödie soll an Originalorten wie dem Hof ihres Vaters in Niederbayern spielen, die Figuren mit den Schauspieler*innen gemeinsam weiterentwickelt, und die Dialoge teils improvisiert werden.

©Schmederer2018

Dass sie sich mit dem schwarzen Komödien-Genre auskennt und ihre Filme sich stets an der Grenze zwischen Realität und Fiktion bewegen, bewies Roenneberg schon eindrücklich mit ihrer beinah schon grotesken Dokuserie Früher oder später (2018) über ein Ehepaar, das parallel zum Bauernhof ein Bestattungsunternehmen führt. Nun möchte die HFF München-Absolventin ihre langjährige Erfahrung im Bereich der Schauspiel-Improvisation mit ihrem dokumentarischen Wissen kombinieren.

Bereits bei ihrem deutsch-chinesischen Kurzfilm Honeymoon (2019) entwickelte sie ihre eigene doku-fiktonale Regietechnik, die ihre Kraft aus dem spontanen Moment improvisierter Dialog zieht. „Ich komme vom Theater und habe immer fiktional gedacht“, sagt Roenneberg, die betont, dass sie bei all ihren Projekten immer aus der inneren Wahrheit der Figuren heraus erzählt. „Wenn ich mit Schauspieler*innen arbeite, ist es mein Anspruch, diese ins wirkliche Reagieren zu begleiten. So dass in dem Moment die Situation ‚echt‘ ist. 

Damit meine ich nicht, dass wir nicht zwischen Figur und Schauspieler*in unterscheiden, sondern eher, dass ich die Situation in ihrer Kraft stehen lasse, sie nicht für die Kamera zerstückele, oder auch mal spontan etwas einwerfe, um sie nochmal in eine andere Richtung zu denken.“

Für Kalter Hund reichte Roenneberg im Oktober 2023 kein Dialogbuch, sondern ein szenisches Treatment mit ausführlichem Realisierungskonzept ein, was in der Förderungslandschaft eher ungewöhnlich ist. Es war ihre letzte Chance, ihren Debütfilm zu realisieren: In Bayern hat man bis fünf Jahre nach dem Abschluss Zeit dafür, Nachwuchsförderung für den ersten Film zu beantragen. Elternzeit wird beispielsweise nicht angerechnet, wobei der FFF Bayern aufgrund der schwierigen Situation für junge Eltern während der Pandemie diese Frist verlängert hat. Im Durchschnitt dauert es laut Studien fünf bis sieben Jahre, bis man sein Debüt überhaupt finanziert bekommt. Denn in der aktuellen Kinolandschaft sei die Finanzierung oft ein langwieriger Weg, auf dem Talente verloren gingen, weil sie sich diese lange Wartezeit schlichtweg nicht leisten können, erzählt Roenneberg, die 2018 ihren Abschluss machte und wenige Monate später ihr zweites Kind bekam. „Durch Corona verschärfte sich die Situation, die Sender zogen sich immer mehr aus der Kino-Co-Finanzierung zurück, und man konnte quasi niemanden finden, der in etwas investiert das noch keine IP hat“.

Zur Berlinale 2023, bei der sich die Branche zum ersten Mal nach der Pandemie wieder traf, stellten Roenneberg und ihre Kolleg*innen Eileen Byrne und Franziska Margarete Hoenisch fest, dass es den meisten aus ihrem Jahrgang ähnlich ging.

Daraufhin beschlossen sie, auf ihre Situation aufmerksam machen und schrieben den verzweifelten Weckruf „Angst essen Kino auf“, der vor allem die fehlende Risikobereitschaft für innovative Projekte anprangerte. Mit ein paar prominenten Erstunterzeichner*innen starteten sie – darunter Dominik Graf, Caroline Link, die Lass-Brüder und Katja Riemann – mittlerweile unterstützen über 1.200 Menschen die Kampagne.

Vor diesem Hintergrund entstand Kalter Hund. Im Mai 2023 sei sie „bei Null“ gewesen, erzählt Roenneberg. Die Finanzierung des Stoffes, an dem sie zu diesem Zeitpunkt arbeitete, war gescheitert – obwohl sie damit für den deutschen Drehbuchpreis vorgeschlagen war. Ihr blieben fünf Monate bis zur Einreichung. Kurzerhand entschied sie sich für einen neuen Stoff: 

„Ein befreiender Prozess, denn ich schrieb diese Geschichte einfach aus mir heraus und ohne jemandem gefallen zu wollen.“

Copyright: Pauline Roenneberg

Ihr Ziel sei es, einen Präzedenzfall zu schaffen, der zeigt, dass man die Finanzierung eines Projekts auch erstmal ohne Senderbeteiligung und unter besseren Arbeitsbedingungen hinbekommt, so Roenneberg, die ihren Film als junge Produktionsfirma mit etablierten Partner*innen, tollem Cast und einem Team aus kreativen Wegbegleitern plant. Die Figuren schrieb sie für Schauspieler*innen, die sie schätzt und mit denen sie durch „Angst essen Kino auf“ in Kontakt kam.

Die Gründung von Milk Pictures mit ihrem Sparringspartner Bärwald war der logische Folgeschritt für Roenneberg: „Wir sind bereit, als Produzent*innen wirtschaftliche Risiken zu tragen, um künstlerische Freiheit zu ermöglichen. Und wenn man Leute dafür gewinnen will, dass sie Geld geben, muss man persönlich von seinen Stoffen erzählen. Da springt ein Funke über, den man schwer nur auf dem Papier transportieren kann.“

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Anna Steinbauer
Fotos: Zoë Schmederer, Bernd Effenberger, Pauline Roenneberg, Daniel Taylor Halsall
Redaktion: Dr. Olga Havenetidis
Digitales Storytelling und Gestaltung: Schmid/Widmaier

Zum nächsten Artikel

Popkul­turell
relevant