Straight Outta Kempten

Mit ihrer ersten gemeinsamen Arbeit ist das Team von Byting Games beim Deutschen Computerspielpreis 2025 für den Besten Prototyp nominiert. Mit Stuntboost holen die Kemptener Neunzigerfeeling, Skating-Flair und Punkrock ins Wohnzimmer – nicht zuletzt durch zwei Förderzusagen vom FFF Bayern.
Text von Pascal Wagner
7 Minuten Lesezeit
(c) Byting Games
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Auf dem Fingerskateboard durchs Kinderzimmer, Punkrock auf den Ohren, das Miniaturbrett behände zwischen umfunktionierten Kassetten, AAA-Batterien und Magnetbaustecksätzen hindurchmanövriert – mehr Teenager-Lebensgefühl der 1990er lässt sich in den ersten Sekunden eines Videospiels wohl kaum vermitteln. Genau das ist Stuntboost: Nur ich und mein Fingerboard in der übergroßen Welt einer Wohnung aus der nostalgischen Vergangenheit. Fast nur mit der Maus steuert sich das Brett zwischen Hindernissen entlang und Halfpipes herunter, die eigene Geschwindigkeit wird in Zentimeter pro Sekunde gemessen. Nur wer Geschick zeigt, schafft es ins Ziel, und nur wer die beste Route findet, ideal beschleunigt und auch mal einen waghalsigen Sprung riskiert, hat Chancen, auf dem Leaderboard ganz nach oben zu kommen: Ein Garant für die “Einmal versuch ich’s noch”-Spirale, die so manche Spielkonsolen-Session vor dem Jahrtausendwechsel definiert hat.

Stuntboost ist das Werk von Byting Games aus Kempten, gegründet vom damaligen Solo-Developer Julian Höltge, der als Game Director hinter Design und Code des Spiels steckt. Er entwickelt Stuntboost gemeinsam mit Tobias Kozel, Audio und Art Director, dessen Vision die Stimmung des Spiels möglich gemacht hat. “Ich entwickle Spiele, seit ich zurückdenken kann“, sagt Julian Höltge. In meiner Kindheit durfte ich anfangs nur eine Stunde pro Woche am Computer sitzen. Das war natürlich zu wenig, also fing ich an, Videospiele auf Papier zu basteln. Irgendwann fand ich heraus, wie man echte Videospiele entwickelt – und dann gab’s kein Zurück mehr. Ich verbrachte mehr Zeit mit dem Entwickeln als mit dem Spielen.“ Im Game-Design-Studium in Kempten lernten sich Höltge und Kozel kennen, gemeinsam bestritten sie Game Jams, bei denen Kozel Höltgen mit seinem Gespür für Musik, Visuelles und 3D-Technik beeindruckte. Als Höltge 2023 schließlich die Firma Byting Games gründete, kündigten beide ihre damaligen Jobs und widmeten sich voll der Spieleentwicklung.

(c) Byting Games

So, wie Höltge in seiner Kindheit bereits Spiele aus Papier nachbaute und um eigene Ideen ergänzte, ist auch Stuntboost aus dem Beobachten und Adaptieren diverser anderer Spiele entstanden, die die beiden Macher beeindruckten. Höltgen spricht offen über seinen Inspirationsprozess: “Mich faszinierte ein kleines Studentenprojekt namens Zineth. Ein Spiel, in dem es kein Geschwindigkeitslimit gibt. Beschleunigt wird durch geschickte Nutzung der Umgebung: Durch Manipulation der Schwerkraft und das Sliden an Wänden kann man so schnell werden, dass es einem sogar gelingt, bis zum Mond zu springen. Diese grenzenlose Steuerung, die trotzdem Geschick erfordert, hat mir ein Gefühl von Freiheit und Flow vermittelt, das ich in einem eigenen Spiel wiedergeben wollte. Der Gameplay-Loop ist quasi von Trackmania geklaut: Ein Level so schnell wie möglich abschließen und das immer wieder, um Rekorde zu brechen und Medaillen zu sammeln. Das Skateboard bot sich an, da man viel über Rampen und Halfpipes fahren sollte, um sich in die Luft zu katapultieren.” Dazu kommen Leveldesign-Inspirationen aus knallharten Plattformer-Titeln, die mit Bewegung arbeiten: Das schwierige, aber dank vieler Optionen sehr zugängliche Celeste ebenso wie das mit Schwung und Beschleunigung arbeitende Flashgame N. Artstyle und Vibe von Stuntboost wiederum entstanden aus einer pragmatischen Mischung eigener Vorlieben und der Beschränkungen des Entwicklungsprozesses, gepaart mit Themen, die das Skateboarding geradezu natürlich ergänzten. “Um den typischen Indie-Lowpoly-Look aufzuwerten, verfolgen wir einige stilistische Entscheidungen: Dicke Outlines um Objekte, wie zum Beispiel in Jet Set Radio. Das verbessert die Lesbarkeit der Level, was besonders bei dem schnellen Gameplay wichtig ist. Global Illumination durch Lightmapping wie in Mirror‘s Edge und Life is Strange. Damit können wir trotz eigener Game-Engine eine stimmige Beleuchtung erreichen und auch einfache 3D-Modelle gut aussehen lassen. Pixelige Texturen sind außerdem aus technischen Gründen notwendig und sorgen dafür, dass der Spieler nicht vergisst, dass es sich immer noch um ein Indie-Spiel handelt,” führt Kozel aus. Auf die Indie-Identität des Spiels sind die beiden Devs stolz.

(c) Byting Games

In das Thema Fingerskating fügte sich schließlich der Griff zur 90er- und frühen 2000er-Nostalgie beinahe von selbst. Immerhin kam Höltge die Idee für das Setting, da er selbst als Kind das Fingerbrett springen ließ. Die Entscheidung auf eine Spielwelt in Spielzeuggröße untermauern die Entwickler auch mit der Darstellung von Spielmechaniken: Zeitrennen etwa finden nicht einfach nur gegen die Uhr statt, sondern gegen eine Reihe umfallender Dominosteine. Wackelaugen öffnen Türen, wenn man sie ansieht. Die Musik der Spiele greift auf Referenzen an die Tony-Hawk‘s-Reihe, aber auch Burnout, FlatOut, Need for Speed oder SSX on Tour zurück. Um auf teure Lizenzen zu verzichten, hat Kozel den ganzen Soundtrack selbst komponiert – und die Stimmung der Inspirationen hervorragend eingefangen und auf Spielzeuggröße komprimiert. Das Kinderzimmersetting von Stuntboost ist ein ganz und gar rundes Paket. Dazu passt auch das Highscore-basierte Spielsystem, das zum Wiederholen und Besserwerden ermutigt. Medaillen messen den Rang der Spieler in jedem Level und werden wiederum genutzt, um spätere, vertracktere Level freizuschalten. Um das motivierend statt frustrierend zu gestalten, braucht es vor allem eines: Jede Menge Testing. “Das Testing ist viel Trial and Error. Meistens sitze ich beim Testen daneben und widerstehe dem Drang zu helfen. Statt mir während dem Testen Notizen zu machen, zeichne ich den Bildschirm auf und kann mich somit voll auf die Emotionen und Spielweise der Testenden konzentrieren. Im Anschluss gibts nen kleinen Austausch und einen Fragebogen,” führt Höltge aus. Hilfestellung kommt nicht nur aus Familie und Freundeskreis, auch die Game-Dev-Community in Kempten ist, nicht zuletzt dank des vorhandenen Studiengangs, gut vernetzt. “Zusätzlich haben wir im Dezember eine Beta veranstaltet, und beim GameDev-Stammtisch in Kempten zeigen wir unser Spiel monatlich. Das befreundete Studio Kreative Kraut organisiert hier ein Treffen zwischen Entwicklern und Interessierten, die dann gegenseitig ihre Games anzocken. Dieses Event eignet sich auch immer super, um sich mit ehemaligen Kommilitonen kurz zu schließen, wie zum Beispiel den Gründern der Kreative Kraut selbst.”

(c) Byting Games

Nun sind Byting Games für ihren ersten Award überhaupt nominiert: Den Deutschen Computerspielpreis 2025 in der Kategorie Bester Prototyp, der am 14. Mai in Berlin verliehen wird. 25.000 Euro Preisgeld sind Ihnen damit bereits sicher, der gleiche Betrag steht noch einmal für das Siegerteam auf dem Spiel. Das Niveau an Polish und die Zeit für den spielbaren Prototyp und seine Features, darunter sogar bereits optionale Grafikoptionen wie besonders rechenintensive, nostalgischere Lichteinstellungen, wäre ohne Förderung nicht möglich gewesen. 20.000 Euro gab es vom FFF Bayern für die Entwicklung des Konzepts, weitere 48.000 Euro für die Entwicklung des Prototyps. “Ohne eine Förderung hätte ich Tobi nur kurzfristig anstellen können und hätte selber wieder einen Nebenjob aufsuchen müssen. Mit der Förderung konnte mehr Zeit in Stuntboost fließen, und wie wir wissen, braucht’s davon besonders viel,” so Höltge, froh über den Verlauf der Entwicklung. Und auch wenn es bis zur Preisverleihung noch Daumendrücken heißt, stehen die Pläne für danach laut Höltge bereits fest – auch wenn einige davon noch vom Gesamterfolg des Spiels abhängen. “Wenn Stuntboost fertig ist, werden wir zunächst ein kleineres Spiel entwickeln, um den gesamten Entwicklungsprozess schneller durchlaufen zu können. So können wir schneller Erfahrung sammeln und kleinere Risiken eingehen. Es wird aus jeder noch so kleinen Idee sowieso eine größere, daher ist es wichtig, sich immer wieder den Kern des Spiels vor Augen zu führen und sich auf diesen zu fokussieren, statt im ‘Feature Creep’ zu versinken. Aus diesem Grund hat Stuntboost keine Story, keinen Multiplayermodus und keinen Level Editor. Das kann man sich noch nach dem Release überlegen. Falls das Geld knapp wird, suchen wir uns einen Nebenjob oder Auftragsarbeiten. Dadurch, dass Byting Games eine kleine Firma ist, sind wir hier recht flexibel. Gleichzeitig liebe ich das Arbeiten in kleinen Teams – daran soll sich also nichts ändern.”

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Pascal Wagner
Fotos: Byting Games

Gestaltung: Schmid/Widmaier

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