„Wir müssen uns
selbst riskieren
in dieser Zeit“

Friedensbotschafterin, Aktivistin, Ikone, Vorbild, Politikerin: Der FFF-geförderte Dokumentarfilm Petra Kelly – Act Now! zeigt die internationale Dimension des Wirkens von Petra Kelly sowie ihre leuchtenden Spuren in der Gegenwart. Premiere feierte der Film beim Filmfest München, wo er die Reihe Neues Deutsches Kino eröffnete. Im September startet er in den Kinos.
von Olga Havenetidis
7 Minuten Lesezeit
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Es war der 10. Oktober 1981 in Bonn. 300.000 Menschen reisten aus dem ganzen Land in die Hauptstadt, nahmen den Weg sternenförmig auf sich, bis sie sich im Hofgarten versammelten. Auftaktkundgebung, Demonstration, Abschlusskundgebung. 13 Jahre zuvor, 1968, war der Hofgarten Schauplatz der Demonstration gegen die Notstandsgesetze. Zwei Jahre zuvor, 1979, hatte die NATO entschieden, als Reaktion auf die Bewaffnung der Sowjetunion, nukleare Mittelstreckenraketen zu stationieren, was vielen Menschen Angst machte. Irgendwann steht sie auf der Bühne und spricht zu den Leuten, Petra Kelly, jung und weiblich, schnell und laut. Unten steht Doris Metz, Volontärin bei der Süddeutschen Zeitung, angereist aus dem Allgäu. Und staunt.

Fast vierzig Jahre später, im Februar 2020, trifft Doris Metz, mittlerweile Autorin und Regisseurin von preisgekrönten Dokumentarfilmen wie dem FFF-geförderten Trans – I Got Life! die Filmemacherin Birgit Schulz während der Berlinale in einem Café am Alexanderplatz. Die beiden stellen fest, dass sie, wie so viele ihrer Generation, mal zur selben Zeit am selben Ort waren, damals, bei der in die Geschichte eingegangene Friedensdemo im Bonner Hofgarten. Sie sprechen über Petra Kelly, wie sie da so auf der Bühne stand und welche Bedeutung das für sie bis heute hat. Birgit Schulz, Geschäftsführerin der Kölner Bildersturm Filmproduktion und Autorin und Regisseurin von aufsehenerregenden Dokumentarfilmen wie Die Anwälte, schlägt Doris Metz vor, die Regie bei einem Kino-Dokumentarfilm über die Politikerin und Aktivistin zu übernehmen.

Dass eine Frau auf der Bühne steht und spricht, das kam in den damaligen Zeiten noch nicht so oft vor, erinnert sich Doris Metz bei einem Gespräch am Telefon. Und dann hat sie auch noch auf eine so besondere Weise gesprochen, glaubwürdig, modern, klar. „Sie hat jeden erreicht, man fühlte sich direkt angesprochen.“ Dass so viele Menschen, die sie kennt, an jenem Tag im Hofgarten waren, nicht nur Birgit Schulz, sondern etliche andere auch, ist für Doris Metz kein „Zufall“. Vielmehr habe Anlass und Organisation der Demonstration ihre Generation geprägt. So als sei es klar, dass auch neue Bekanntschaften gleichen Alters höchstwahrscheinlich damals dort waren.

Insofern musste Doris Metz gar nicht lange überlegen. Sie nahm das Angebot an und den Dokumentarfilm über die Ikone der Anfangsjahre der Grünen in Angriff. Durch die Unterstützung des FFF Bayern, der das Projekt für Stoffentwicklungsförderung empfahl (später kam noch die FFF Produktionsförderung hinzu), konnte die Regisseurin intensiv recherchieren. Sie, die ein Jahrzehnt als Redakteurin bei der Süddeutschen Zeitung gearbeitet hat, geht nach eigenen Worten journalistisch an die Themen und Phänomene heran. Sie recherchierte, teilweise während der Pandemie-Lockdowns, in den Archiven: im Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftung, im Archiv der Havemann Gesellschaft, im Stasi-Unterlagen-Archiv. Durch Gespräche und viele Fragen arbeitete sie sich auch vor in private Archive. Sie studierte mehrere Regalmeter des Nachlasses, unzählige Korrespondenzen, Briefe, Postkarten. Dabei fand sie einiges an Material, das bisher offenbar der Öffentlichkeit unbekannt war. So finden sich Bilder über Petra Kellys Auseinandersetzung mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, die sie nach Ansicht von Doris Metz in ihr Engagement in Deutschland mitgebracht hatte. Ihre Besuche und Gespräche in der und Korrespondenzen mit der DDR (die Briefe und Texte von Petra Kelly liest Nina Kunzendorf), auch mit Erich Honecker, sind ebenso zu sehen wie ihr Bedrohtsein durch eine rechtsextreme Bewegung in den USA. Auch wenn einiges an Archivbildern schon woanders zu sehen war, gibt es neben den bisher unsichtbaren Bildern auch solche, die oft thematisiert wurden, hier aber eher im Hintergrund bleiben, so wie das Rätsel um die letzte Nacht, dem Sky eine vierteilige Serie widmete.

Leitgedanke für den Film war für Doris Metz, die internationale Dimension von Petra Kellys Wirken deutlich zu machen, und mit ihrem Film nicht nur Zuschauer*innen zu erreichen, sondern sie zum Nachdenken darüber zu bewegen, ob sie selber auch etwas tun müssten. „Es gibt ja genug Themen zur Zeit“, sagt sie. Aus dem Grund ging es ihr darum, die Spuren in der Gegenwart aufzuzeigen. Es war bei einer Fridays for Future Demo, bei der Doris Metz hörte, wie junge Anführerinnen der Bewegung auf Petra Kelly verwiesen und damit bewusst machten, dass die 1947 im bayerischen Günzburg geborene und 1992 in Bonn durch einen Schuss im Schlaf gestorbene Politikerin und Aktivistin immer noch als Vorbild, Ikone und Leuchtfigur gilt und zum Denken wie Handeln inspiriert. Sie war ihrer Zeit voraus oder wir haben uns nicht weiterentwickelt. „Wir müssen uns selbst riskieren in dieser Zeit“ war ihr Plädoyer, wie Doris Metz im Presseheft berichtet. In Petra Kelly – Act Now! kommt auch Luisa Neubauer zu Wort, die für diese Spur bis in die Gegenwart steht. Daneben sprechen auch die frühere Büroleiterin von Gert Bastian Ina Fuchs, der indigene Menschenrechts- und Umweltaktivist sowie Freund Petra Kellys Milo Yellow Hair, die Weggefährten Lukas Beckmann und Otto Schily, Grünen-Gründungsmitglied Eva Quistorp, Friedensaktivistin Cora Weiss sowie Petra Kellys Halbbruder John Lee Kelly. Fotografiert hat auch dieses Mal, wie schon bei früheren Projekten von Doris Metz, Sophie Maintigneux.

Premiere als Eröffnungsfilm der Reihe Neues Deutsches Kino beim Filmfest München: Birgit Schulz und Doris Metz mit BKM Claudia Roth und Festivaldirektor Christoph Gröner

Uraufgeführt wurde der Film beim Filmfest München, wo er die Reihe Neues Deutsches Kino eröffnete. Drei gut besuchte Vorführungen mit langen Q&A gab es, bei der ersten war BKM Claudia Roth zu Gast und hielt eine persönliche Rede. Berührend und emotional sei das gewesen, wie die Regisseurin sagt, und eine perfekte Einstimmung auf den Film. Das Filmfest München habe sich als wunderbarer Ort für den Film erwiesen, hier war es auch, wo Doris Metz mit ihrer Co-Regisseurin Imogen Kimmel vor drei Jahren den Publikumspreis für Trans – I Got Life! von Bayern 2 und Süddeutscher Zeitung gewann. Die Reaktionen des Publikums seien überwältigend gewesen, erzählt sie, eine fulminante Premiere nicht nur für das Publikum, sondern auch für sie und ihren Mischtonmeister, denn: Sie haben gemeinsam lange an der Tonfassung gearbeitet, einer 7:1 Mischung. Das Kino war ausgezeichnet, Bild und Ton brillant. Viele Kolleg*innen saßen im Publikum und sind nach dem Q&A noch mit ihr an die Bar gegangen, um über den Film zu sprechen. Kein Neid, keine Konkurrenzgedanken, nur Sprechen über Film. Das ist das Schönste, sagt sie, und das wäre für sie typisch für die bayerischen Filmfestivals. Sehr zufrieden ist sie auch mit der Sichtbarkeit, die das Filmfest München dem Film verschafft hat. So gab es unter anderem große journalistische Berichte in der Abendzeitung, dem Tagesspiegel und bei kinokino. 

Interfilm-Akademieleiter Pfarrer Eckart Bruchner

überreicht den  One-Future-Preis an Doris Metz

Neben dem Publikum kam der Film auch bei Jurys gut an: Die internationale Jury der Interfilm-Akademie zeichnete den Film mit dem One-Future-Preis aus. „Gezielt lässt Doris Metz authentisch Zeitzeug:innen zu Wort kommen und zeigt Petra Kelly als globale Aktivistin und Kämpferin für Menschenrechte, Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Gewaltlosigkeit und für die ökologische Bewegung“, heißt es in der Begründung der Jury. „Das filmische Porträt dieser willensstarken und leidenschaftlichen Persönlichkeit, die Veränderungen wollte, rüttelt uns zu zivilem Ungehorsam auf und zeigt uns zugleich als Zuschauer:innen beschämend auf, was wir als Mitmenschen in den letzten Jahrzehnten aus Bequemlichkeit versäumt und verdrängt haben.“ Die Jury empfiehlt: „Der Film sollte überall in Kinos, Schulen, Akademien, Kirchen etc. gezeigt und diskutiert werden, denn er manifestiert die Aktualität und Modernität im Denken dieser großartigen Frau, die „die Politik als Geschäft“ ablehnte, die heute immer noch unverändert überall grassiert. Dieser Film ist Aufruf und zugleich Programm für eine gemeinsame, bessere Zukunft, auch im Sinne ihres letzten Buches Mit dem Herzen denken – Texte für eine glaubwürdige Zukunft.“ Die Interfilm Akademie nahm den Film außerdem zum Anlass, Petra Kelly posthum mit dem Ehrenpreis zu würdigen.

Nun steht neben weiteren Festivaleinladungen der Kinostart an. Am 12. September 2024 bringt RFF Real Fiction Filmverleih den Dokumentarfilm in die Kinos. Produziert hat Petra Kelly – Act Now! die Bildersturm Filmproduktion, als Sender beteiligt sind der RBB, der BR und Arte. Fördermittel kamen von FFF Bayern, Film- und Medienstiftung NRW, Medienboard Berlin-Brandenburg und dem DFFF. Den Weltvertrieb hat New Docs übernommen.

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text und Redaktion: Olga Havenetidis
FotosRFF Real Fiction Film, Filmfest München/ Joel Heyd
Gestaltungund digitales Storytelling: Schmid/Widmaier

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