Am Schwabinger
Kino-Puls

Mit Daniela Bergauer und Michael Hehl haben die eminenten Kuchenreuther-Kinos an der Münchner Freiheit neue, junge Betreiber gefunden
von Dunja Bialas
6 Minuten Lesezeit
M

„Morgen kommen die Plexiglaswände runter.“ Michael Hehl steht neben Daniela Bergauer im Souterrain-Foyer des Leopold-Kinos. Die Schutzwände sind noch aus der Corona-Zeit übriggeblieben, an die soll jetzt lieber nichts mehr erinnern. Hehl und Bergauer sind die neuen Betreiber*innen des 1971 gebauten Kinos mit drei Sälen, das direkt an der Leopoldstraße in Schwabing liegt. Schräg gegenüber befindet sich in einer Seitenstraße das ebenerdige ABC-Kino, das 1917 seinen Spielbetrieb aufnahm. Auch das gehört jetzt ihnen.

Fast sechzig Jahre lang hat hier der Kinobetreiber, Produzent und Verleiher Thomas Kuchenreuther die Kinogeschicke Münchens bestimmt. Bis 2019 gehörten auch noch die Kinos Münchner Freiheit dazu, die wurden jedoch durch eine Umwidmung des Nutzungszwecks durch die zuständige Lokalbaukommission dem benachbarten Kaufhaus als Lagerräume zugeschlagen. Kuchenreuther verlor seine wichtigsten Säle.

Nicht aber der geschäftliche Verlust und die nachfolgende Pandemie-Zeit gaben den Ausschlag, dass Kuchenreuther nun aufhört. Er werde im Juli achtzig Jahre alt, sagt er am Telefon. Mit seiner Frau Susanne wolle er jetzt Wanderungen machen, was seine zweite Leidenschaft neben dem Kinomachen ist, und das Leben genießen. Bereits am Montag vor Ostern hatte sein Nachfolger Michael Hehl die Disposition übernommen und bei den Verleihern die Filme für die Woche gebucht. „Es war das erste Mal seit Jahrzehnten, dass ich an einem Montag wirklich freihatte“, sagt Kuchenreuther.

In die Münchner Kinolandschaft ist gerade viel Bewegung gekommen.

Jetzt dürfen also die Jüngeren ran. Die Übergabe seiner Kinos wurde seit Monaten eingefädelt, der Zeitpunkt ist perfekt gewählt: In die Münchner Kinolandschaft ist gerade viel Bewegung gekommen. Anfang des Jahres übergab die über neunzigjährige Marlies Kirchner das Theatiner an ihr Team Claire Schleeger und Bastian Hauser. Das Kino Solln wurde an Thomas Wilhelm übertragen, dessen Mutter schon das Kino geführt hatte. Kuchenreuther hat mit Daniela Bergauer und Michael Hehl jetzt einen Überraschungs-Coup gelandet.

Obwohl sie keiner auf dem Zettel hatte, sind die beiden keine Unbekannten in der Kinoszene. Michael Hehl hatte 2014 den Verleih Temperclay gegründet, mit dem er übersehene Titel in die Kinos brachte. Zu den auch heute noch buchbaren Filmen gehören internationale Independents und bekannte französische Titel wie Stéphane Brizés „Der Wert des Menschen“. Wim Wenders hatte für ihren letzten Film sogar eine Patenschaft übernommen.

Die Verleiharbeit gab den beiden den notwendigen Realismus fürs Geschäftliche mit. „Wie willst du das finanzieren, wenn du keine großen Einnahmequellen und einen guten finanziellen Hintergrund hast“, sagt Hehl nüchtern im Interview. „Wenn du was reißen willst, musst du viel für Werbung ausgeben.“ Auch deshalb haben sie sich einem anderen Segment zugewandt: dem Kinomachen. Er und seine Partnerin Daniela Bergauer betreiben bereits seit 2019 mit großem Erfolg das Liliom-Kino direkt an der Augsburger Stadtmauer.

„Wir haben gemerkt, dass wir unbedingt noch weitere Kinos machen wollen, weil wir einfach noch viel mehr kuratieren wollen.“

Die Corona-Jahre waren keine einfache Zeit für die frischgebackenen Kinobetreiber, gaben dem Paar jedoch den Freiraum, noch einmal gründlich über alles nachzudenken. „Wir haben gemerkt, dass wir unbedingt noch weitere Kinos machen wollen“, sagt Michael Hehl, „weil wir einfach noch viel mehr kuratieren wollen.“ Daniela Bergauer erzählt, dass sie die Zeit genutzt habe, um sich gründlich in das Geschäftswesen des Kinobetriebs einzuarbeiten. Beide haben Geisteswissenschaften studiert und sehen sich als Pragmatiker mit einem ideellen Anliegen, was sich schon in der Verleiharbeit gezeigt hatte.

Thomas Kuchenreuther hatte Michael Hehl als engagierten Filmverleiher kennengelernt, was ihn auch mit Blick auf seine eigene kurze Verleihtätigkeit – er hatte Jean-Luc Godards Pierrot le Fou in die deutschen Kinos gebracht – begeisterte. Hehl und Bergauer sprachen ihn an – wie es denn mit seinen Kinos stünde? „Das können Sie sich gar nicht leisten“, habe er ihnen gesagt, so erzählt es Kuchenreuther am Telefon und lacht dabei. Hehl und Bergauer ließen nicht locker. Mit einem handgeschriebenen Brief hätten sie ihrem Begehren während der Pandemie noch einmal persönlich Nachdruck verliehen. Wer weiß, ob das den Ausschlag gab, sich gegen andere, schwergewichtige Mitbewerber durchzusetzen?

 

Kuchenreuther, der eine romantische Ader hat, kann dies durchaus beeinflusst haben. „Die beiden haben mich an meine Frau und mich erinnert, als wir mit dem Kinomachen angefangen haben.“ Zwanzig Jahre waren sie damals alt, das Kinomachen war in den Sechzigerjahren noch ein aussichtsreiches Unternehmen, Kuchenreuther stammt überdies aus einer Kinobetreiber-Familie, wo schon der Großvater zu Stummfilmzeiten und dann auch Vater Michael mit Mutter Thea ein Kino leiteten. Familienbetriebe machen auf Kuchenreuther Eindruck.

Daniela Bergauer, 41, und Michael Hehl, 38, sind zwar nicht mehr so jung wie damals die Kuchenreuthers, bringen aber Erfahrung und Elan mit. Mathias Wild von den Museum-Lichtspielen stieg überdies als stiller Teilhaber ein. Zusammen kauften sie die Leopold ABC Kinos GmbH, was wiederum über eine neu gegründete KG der Liliom-Kinos geschah. Dazu kam das große Entgegenkommen der Vermieter. Für das ABC wie auch für die Leopold-Kinos haben Hehl und Bergauer Zwanzigjahresverträge bekommen, an der Leopoldstraße für die ersten Jahre sogar zu günstigeren Konditionen, damit nicht der finanzielle Druck, den die Bestlage mit sich bringt, innovatives Unternehmertum gleich wieder zunichte macht. „Die Vermieter haben verstanden, dass Kino jetzt nach Corona Unterstützung braucht“, lobt Hehl.

Sie haben auch schon erste Ideen, die eng mit der Schwabinger Film- und Kinogeschichte verbunden sind.

Mit der Übernahme der Schwabinger Leinwände tritt das Kinobetreiber-Paar ein beeindruckendes Erbe an, können aber an das Verständnis Kuchenreuther, prinzipiell zwischen Arthouse und größeren Verleihtiteln keinen Unterschied zu machen, anknüpfen. Michael Hehl zählt Oh la la – Wer ahnt den so was?, Stop Making Sense und Schleimkeim als schönes Crossover aus Mainstream und Nische auf. Daniela Bergauer, die die Geschäfte leitet, macht auch viele Filmgespräche mit Gästen, was sie fortsetzen wollen, wenn sie ihren neuen Häuser ihre Handschrift gegeben haben. Zuversichtlich stimmt Bergauer und Hehl, dass jetzt erst einmal die ruhigeren Sommermonate kommen. Damit bleibe Zeit, die Kinos am prominenten Standort gründlich zu erforschen, neue Programmrichtungen einzufädeln und sich bei den traditionellen Filmkunstwochen München im Ferienmonat August ganz der kuratorischen Arbeit und eingeladenen Gästen zu widmen. Sie haben auch schon erste Ideen, die eng mit der Schwabinger Film- und Kinogeschichte verbunden sind. Mehr wollen sie an dieser Stelle nicht verraten. Der Schwabinger Kino-Puls pocht auf jeden Fall munter weiter.

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Dunja Bialas
Foto: Leopold ABC GmbH
Redaktion und digitales Storytelling: Olga Havenetidis
Gestaltung: Schmid/Widmaier

Zum nächsten Artikel

Grüner
wird’s
jetzt