Wer Mit Philipp Trauer und Thomas Wöbke – den Produzenten des Films September 5 – spricht, erlebt zwei Männer unter Hochdruck. Zum Zeitpunkt dieses Gespräches ist gerade der US-Trailer gelauncht, inklusive der Plakatkampagne. „Es sind zurzeit lange Nächte“, berichtet Philipp Trauer uns im Interview, „wir bekommen sehr wenig Schlaf“. Erschöpft oder abgekämpft wirken Trauer und Wöbke dabei aber keinesfalls, vielmehr auf positive Weise unter Strom und im Gespräch hellwach. Ihr Film unter der Regie von Tim Fehlbaum erhält gerade überwältigendes Feedback. Ob bei Testscreenings, Pressevorführungen oder bei den Premieren in Venedig, Telluride und Zürich. Momentan stellen die Produzenten sicher, dass auch jeder in Hollywood, der entscheidend ist, den Film rechtzeitig zu sehen bekommt. Über die Academy-Mitglieder bis zu den Entscheidungsträgern der SAG-Awards und den vielen Guilds, die LAs Filmwelt prägen. Die Startterminverschiebung hinein in die High-Season der prestigeträchtigsten Awards spricht selbstbewusst für sich. Zugeschaltet aus Los Angeles, wo September 5 gerade beim AFI Fest des American Film Institute gezeigt wurde, berichtet Thomas Wöbke: „Wir hatten während Corona im Jahr 2020 gemeinsam mit Tim Fehlbaum die Idee zum Film. Ich kann mich noch erinnern, die Bilder vom 5. September 1972 als Kind im Fernsehen gesehen zu haben. Wir haben uns über ein Wochenende hinweg eingeschlossen und zusammen alle möglichen Filme zum Thema geguckt. Uns fiel dabei auf, dass außer Steven Spielbergs Munich, der einen ganz anderen Aspekt der Geschichte beleuchtet, noch kein Film das getroffen hatte, was die Geschichte für uns so interessant machte.“
Die
Perspektive
wurde
so noch
nie erzählt
Leonie Benesch spielt eine Übersetzerin
September 5 widmet sich dem Geschehen während der Olympischen Spiele im Jahr 1972 in München, als palästinensische Attentäter vom Terrorkommando Schwarzer September Angehörige des israelischen Olympia-Teams zunächst als Geiseln nahmen und sie schließlich ermordeten. Das Olympia-Attentat von 1972 gilt als Geburtsstunde des medienwirksamen Terrorismus. In einem Statement zum Film formuliert Regisseur Tim Fehlbaum, die Kameras der Weltöffentlichkeit seien zur Verlängerung der Kalashnikovs geworden, „zum ersten Mal wird eine Geiselnahme live im Fernsehen übertragen. Den Tätern geht es nicht nur um das gewaltvolle Durchsetzen von Forderungen, sondern um das Kreieren von Bildern.“
Als sich die beiden gebürtigen Münchner Philipp Trauer und Thomas Wöbke gemeinsam mit dem Schweizer Tim Fehlbaum, Absolvent der HFF München, zusammentaten, kam bereits frühzeitig die Constantin an Bord. Die Produktion der BerghausWöbke Filmproduktion und der Projected Picture Works war anfangs noch als großes filmisches Panorama der Vorgänge während des folgenschweren Tages gedacht. Aus Perspektive der Polizei, Politik und auch der Medien. Doch schnell stellte sich für das Kreativteam, zu dem bald auch Drehbuchautor Moritz Binder hinzustieß, heraus, dass es bei dem Stoff und der Analyse seiner Auswirkungen in der Öffentlichkeit einer besonderen Konzentration bedurfte. Das Endergebnis ist ein hochintensives, spannungsgeladenes Kammerspiel, welches das nervenaufreibende Geschehen ausschließlich aus der Perspektive eines amerikanischen Fernsehteams zeigt, zuständig für die Sport-Berichterstattung. Die Mitarbeiter des TV-Senders ABC wurden in den frühen Morgenstunden des 5. September in ihrer Programmzentrale von den Ereignissen, die sich bald als Terrorangriff inklusive Geiselnahme herausstellen sollten überrascht. Gegen den Widerstand der eigenen Nachrichtenabteilung entscheidet sich das ABC-Sports-Team das erschreckende Geschehen zu dokumentieren. Die Bilder des Teams um den jungen TV-Journalisten und Producer Geoff Mason (John Magaro) und seinen legendären Reporter-Chef Roone Arledge (Peter Sarsgaard) gehen bald um die Welt und werden zu eminent wichtigen Dokumenten des Zeitgeschehens.
Ein internationaler Cast spielt die Redaktion
Um die Geschichte hinter diesen Bildern effektiv zu erzählen, stürzten sich Philipp Trauer und Thomas Wöbke gemeinsam mit Tim Fehlbaum und Moritz Binder in eine aufwändige Tiefenrecherche, bei welcher das Kreativteam auch auf die Rolle der deutschen Dolmetscherin im ABC-Team, Marianne Gebhardt stieß. In September 5 übernimmt ihren Part die überaus vielseitige Leonie Benesch, die es vermag, ihrer Figur stets eine Aura ausgeprägter Wachsamkeit und Kompetenz unter den denkbar schwierigsten Verhältnissen zu verleihen. An der Leitung des Live-Marathons, der schließlich mit dem verheerenden Schusswechsel am Fürstenfeldbrucker Flughafen und der Erschießung sämtlicher israelischer Geiseln endete, hatte die Frau, die im Film weit über ihre Rolle hinauszuwachsen vermag, entscheidenden Beitrag.
Die ungewöhnliche strikte Medienperspektive auf den schwarzen Tag in der Olympiageschichte verdankt sich auch den Aussagen des damals zuständigen Coordinating Producer Geoffrey Mason, mit dem die Kreativen in der Recherchephase des Films in der Lage waren zu sprechen. „Bereits in den ersten Gesprächen, die wir mit Geoffrey Mason führen konnten, wurde uns klar, dass es sich dabei um eine unglaubliche Geschichte handelt“, so Produzent Philipp Trauer, „Die Perspektive wurde so noch nicht erzählt. Wir sahen schnell das Potenzial darin, weil wir das Gefühl hatten, mit dieser Mediengeschichte ganz nah an unserer heutigen Zeit zu sein. Tim und Moritz haben unser ursprünglich 160 Seiten langes Drehbuch schließlich umgeschrieben und es konsequent aus der journalistischen Perspektive erzählt. So entstand das neue Drehbuch, das uns von der ersten Fassung an allesamt begeistert hat.“
Im Vordergrund steht die Frage: Spielen die Medien den Attentätern in die Hände, wenn sie über die Geiselnahme berichten?
Das gezeigte dramatische Geschehen führt im Film auf direktem Weg zu medienethischen Fragen nach der Macht der Bilder. Das Journalisten-Team um Geoff Mason wird dabei schnell mit dem Umstand konfrontiert, dass ihre Berichterstattung zu einem Teil der terroristischen Medienstrategie wird. Konkret wirft die brenzlige Lage die Fragestellung auf: „Können wir im Live-TV zeigen, wie jemand erschossen wird?“, so Geoff Mason im Film. September 5 ist kein Film geworden, der schnell einfache Antworten auf komplexe Fragen findet. Vielmehr hält die Produktion Widersprüchlichkeiten aus und hält offene Fragen ethischer wie politischer Natur auf flirrende Weise in der Luft. Das Geschehen aus dem Jahr 1972 berührt so unmittelbar ein Kinopublikum, das sich nach dem schwerwiegenden Terrorangriff der palästinensischen Hamas am 7. Oktober 2023 und dem daraus resultierenden Gaza-Krieg vor ähnliche Fragen gestellt wiederfinden dürfte. September 5 erzählt so von der Nullstunde des internationalen Terrorismus schlechthin. Der Beginn eines langen zeitgeschichtlichen Kapitels, das von 9/11 über die Anschläge von London, Paris bis Madrid reicht und – so steht es zu befürchten –, so schnell nicht beendet sein dürfte. Tim Fehlbaums Regiearbeit schwebt dabei souverän über zeitgenössischen politischen Debatten wie Grabenkämpfen und dürfte auch bei einer breiteren Rezeption nach seinem deutschen Kinostart im Januar nicht einseitig zu vereinnahmen sein.
John Magaro in der Rolle von Geoffrey Mason
Regisseur Fehlbaum ist einer, der stets gerne möglichst große Welten erzählt. Zuletzt war das bei seiner Regiearbeit Tides gemeinsam mit demselben Produzentengespann der Fall. Fehlbaum ist aber auch einer, der gerne das Handwerkliche beim Regiehandwerk betont. Was in der Praxis bedeutet, dass er am Set mit Vorliebe echte Kulissen vorfindet, abseits ausschließlich durch VFX erzeugter Szenerien. Philipp Trauer schildert seine Erfahrungen mit Fehlbaum so: „Tim will immer das physische Erlebnis. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Schauspieler*innen.“ Von der einschlägigen Monitorwand, vor der die ABC-Journalisten im Studio operieren bis über sämtliche Konsolen, Monitore und Kopfhörerpaare sollte auf Fehlbaums Geheiß während der 32-tägigen Dreharbeiten in den Bavaria-Studios jedes noch so nebenseitig erscheinende Objekt so authentisch und zeittypisch wie möglich sein. Szenenbildner Julian R. Wagner diente als Vorbild stets das Originalmaterial aus den Bildarchiven der ABC, auf die das Filmteam Zugriff bekam. Eine Detailliebe und Versessenheit, die sich auf der Kinoleinwand bezahlt macht. Kameramann Markus Förderer und Editor Hansjörg Weißbrich fassen das alles in einen fieberhaft-rasanten Bilderreigen, der in jeder Einstellung eine einmalige Präzision an den Tag legt, dokumentarisch in der Anmutung und hochstilisiert zugleich. Als Zuschauer*innen werden wir in der Sendezentrale Zeuge einer unausgesetzten Liveschalten-Choreografie.
Gedreht wurde in den Bavaria Studios
Die Dringlichkeit, mit der September 5 von seinem filmischen Gegenstand erzählt, weckte auch in Hollywood frühzeitiges Interesse. Durch die stark amerikanische Perspektive der Erzählung war eine US-Unterstützung der Produktion geradezu unerlässlich. Über das Netzwerk des in Hollywood eifrig gebuchten Kameramanns Markus Förderer kam schließlich der Kontakt zu Sean Penn und seiner Produktionsfirma Projected Picture Works zustande. Ein glücklicher Umstand, wie Thomas Wöbke betont, denn besonders der Casting-Prozess und die damit verbundenen Anfragen bei US-Agenturen seien am Anfang des Projektes noch eher schleppend verlaufen. Als dann Sean Penn mit seinen beiden Partnern John Palmer und John Wildermuth mit an Bord kam, erfuhr das September 5-Projekt einen immensen Boost. Nicht zuletzt, weil Penn und seine Kompagnons vom Drehbuch des Films angetan waren, öffneten sich für die deutsche Produktion nun die Türen in Hollywood. „Wenn man eine Mail rausschickt, auf der steht Produced by Sean Penn, dann hat man einen Fuß in der Tür“, so Philipp Trauer.
Bei seinen US-amerikanischen Festivalpremieren erlebte September 5 nun bisweilen Szenenapplaus, berichtet Trauer, „Für uns als Filmemacher ist diese unmittelbare Reaktion total toll. Und es entstehen wahnsinnig interessante Gespräche nach den Screenings.“ So einige Nächte, die nur wenig Schlaf zulassen dürften, werden Philipp Trauer und Thomas Wöbke in den kommenden Wochen noch vor sich haben.
Das deutsche Kinopublikum darf sich auf den Kinostart am 9. Januar freuen. Und bei der Verkündung der Oscar-Nominierungen am 17. Januar 2025 heißt es dann Daumendrücken. So oder so wird September 5 in Hollywood sowie in der gesamten Filmwelt Gesprächsthema sein.
Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Chris Schinke
Fotos: Constantin Film
Digitales Storytelling und Gestaltung: Schmid/Widmaier