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Die FFF-geförderte preisgekrönte Experience Duchampiana von Myndstorm Productions und Tchikiboum war nach Rotterdam, Venedig und Prag nun auch in Hof und London zu sehen. Eine feministische Bearbeitung von Marcel Duchamps Akt, der eine Treppe hinabsteigt. Inspiriert dazu wurde Künstlerin Lilian Hess am Regensburger Institut für Skalalogie. Die passende Treppe fand die Produktionsfirma im Bayerischen Hauptstaatsarchiv.
Text von Jürgen Moises
6 Minuten Lesezeit
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Eine Treppe, die bis nach oben in den Himmel führt. Das kennen wir nur aus Märchen, von den Pyramiden oder aus dem Song Stairway To Heaven von Led Zeppelin. In der VR-Kunstinstallation Duchampiana von Lilian Hess gibt es das auch. Das heißt: Eine schier endlos wirkende Treppe, auf der es Schritt für Schritt nach oben geht. Zwar virtuell, aber trotzdem in Form von realen Bewegungen. Nach ein paar Minuten kann das durchaus schweißtreibend werden. Was noch dazukommt: Wir schreiten die Treppe nicht alleine hoch, sondern neben einer weiblichen, etwas hölzern aussehenden und auch so klingenden Figur. Bleiben wir stehen, bleibt auch die Figur stehen. Gehen wir weiter, geht auch sie weiter. Und irgendwann passiert es, dass aus der einen Figur viele werden.

Wer die Figur ist und was es mit dem Ganzen auf sich hat? Nun, in dem Fall ist der Titel der vom FFF Bayern geförderten Installation vielsagend, die im Februar 2024 beim Filmfestival IFFR in Rotterdam den mit 30.000 Euro dotierten Eurimages New Lab Award – Outreach gewann. Denn Duchampiana leitet sich vom Namen des berühmten, französisch-amerikanischen Künstlers Marcel Duchamp ab. Auch das zentrale Motiv von einer Frau auf einer Treppe geht auf Duchamp zurück, genauer: auf sein Gemälde Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2 von 1912. Ein Schlüsselwerk der klassischen Moderne, das vom Kubismus inspiriert ist, und auf dem der titel-gebende Akt abstrahiert, in verschachtelte, konische und zylindrische Elemente zergliedert ist.

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„Das Bild von Marcel Duchamp, mit dem sich die Arbeit beschäftigt, entstand zu einem Zeitpunkt, als die Bilder sozusagen das Laufen gelernt haben. Es zeigt einen Körper in Bewegung, aber auf einer statischen Leinwand.“ So fasst Oliver Czeslik das zentrale Moment des Gemäldes zusammen und ergänzt: „Jetzt bewegen wir uns ja eigentlich in einem Zeitalter, in dem wir dreidimensional erzählen können.“ Und das Motiv „zu übersetzen, in diese neue Zeit“, das sei „etwas ganz Tolles“. Czeslik ist CEO bei der in München und Berlin ansässigen Firma Myndstorm Productions, die Duchampiana zusammen mit dem französischen Studio Tchikiboum produziert hat. Ein weiterer wichtiger Aspekt: „Es ist ein sehr feministisches Projekt“, so Czeslik, der sich als großer Duchamp-Fan outet. Für den habe „die Genderfrage auch schon eine Rolle gespielt, der hatte ja ein zweites Ich, das eine Frau war.“ Jedenfalls: Den Bezug zu Duchamp, die Art, wie sich die in Berlin und London lebende Künstlerin Lilian Hess mit ihm auseinandersetzt, „das fand ich einfach unglaublich passend, zeitgemäß und es hat eine Power, die überzeugt“. Aus dem Grund haben der Medienkünstler und Produzent Czeslik und seine Frau Kathrin Brunner Duchampiana koproduziert. Kathrin Brunner ist ebenfalls CEO bei Myndstorm Productions. Sie ist Digitalexpertin, war früher im Filmverleih. Und zusammen haben sie in den vergangenen Jahren schon mehrere vom FFF Bayern geförderte, preisgekrönte VR-Projekte realisiert.

Neu ist, dass sie bei Duchampiana, die nach der Vorab-Präsentation in Rotterdam auf der Biennale in Venedig ihre Weltpremiere hatte und danach auf der Art VR in Prag und den Hofer Filmtagen zu erleben war, diesmal nicht die Initiatoren waren. Wobei ihre drei Jahre umspannende Mitwirkung über die bloße Finanzierung weit hinausging. So hatten Czeslik und Brunner auch auf die Auswahl der Techniker*innen und Designer*innen Einfluss sowie allgemein auf die Realisierung. Und die hatte es durchaus in sich. Denn dass das Treppensteigen die User*innen zum Schwitzen bringt, hat mit dem technischen Aufbau der Installation zu tun. Genutzt wurde dafür nämlich ein „umprogrammiertes Profi-Fitnessgerät, das wir, so kann man sagen, gehackt haben und das nun ein komplett neues Interaktionssystem hat“, verrät Brunner am Telefon. Dieses Gerät hat wirklich Treppenstufen, die mit Muskelkraft bewegt werden. In der zugehörigen VR-Brille sieht es dann so aus, als würden wir nach oben steigen.

In dieser kraftvollen Bewegung nach oben sieht Brunner genauso wie die Künstlerin Lilian Hess auch das zentrale und feministische Moment. Denn das gegenteilige „Motiv von Frauen, die meistens nicht sehr bekleidet Treppen herunter steigen, das gibt es in der europäischen Kulturgeschichte sehr, sehr oft, etwa mit den Showgirls“, so Brunner. „Und das hat immer eine Machtdifferenz.“ Dieses „Angeblickt-werden“, mit dem „das Weibliche“ assoziiert werde. Auf die Idee, das „umzudrehen in eine sehr viel kraftvollere Bewegung“, ist Lilian Hess gekommen, als sie im Institut für Skalalogie an der Ostbayerischen Technische Hochschule Regensburg den Essay Treppen in der Kunst von Friedrich Mielke las. Mielke hat das Institut 1980 gegründet, das sich als einziges weltweit ausschließlich mit Treppen befasst.

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Eine der Aufgaben von Brunner und Czeslik war es dann, die passende Treppe für das Motion Capturing zu finden. Was ihnen schließlich im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München gelang. „Noch lieber wären wir in der Alten Pinakothek gewesen“, erzählt Czeslik. „Aber da haben wir keine Genehmigung bekommen.“ Die vielen, notwendigen Variationen des Treppensteigens hat Lilian Hess mit der japanischen Performerin Chihiro Kawasaki erarbeitet. Die Bewegungen mittels Motion Capturing und KI-Tracking zu erfassen und dann auf den virtuellen Körper zu übertragen, das wurde in Kooperation mit dem Kreativstudio Femme Fatale aus Paris und der Firma I-Immersive aus London gemacht. Was auch noch wichtig ist: der Soundtrack, der von Fritz Rating aus Berlin stammt. Er hat „alles händisch komponiert“, erzählt Czeslik. Das heißt etwa mit Klanghölzern anstatt mit fertigen Samples. „Jeder einzelne Schritt ist komponiert, jede Figur, jede Bewegung.“

Sehr bewegt und „sehr begeistert“ sei auch das Publikum bei „HoF XR“ im Festivalzentrum gewesen, wo Duchampiana zusammen mit weiteren Virtual-Reality-Projekten während der Hofer Filmtage gezeigt wurde. „Die hatten große, leuchtende, strahlende Augen“, so Czeslik. Und in Venedig wurde die VR-Installation regelrecht „überrannt“. Das umfunktionierte Fitnessgerät aber erst einmal nach Venedig zu bewegen, sei ein ganz schöner Akt gewesen. Deswegen gibt es inzwischen auch „eine kleinere Variante, weil man nicht überall dieses 200-Kilo-Gerät hinschicken kann“. Wie etwa nach London, wo Duchampiana vom 15. bis 17. November beim Digital Body Festival gezeigt wurde. Anfang Dezember ist sie bei „FilmGate Interactive“ in Miami zu sehen und  vom 9. bis 14. Dezember bei den European XR Awards in Brüssel. Sieht also so aus, als wäre Duchampiana noch eine ganze Weile in Bewegung. 

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Jürgen Moises
Foto: Myndstorm Productions
Digitales Storytelling und Gestaltung: Schmid/Widmaier

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