Stiller nach dem Roman von Max Frisch. Das sind 93 Minuten netto Spielfilm für 448 Seiten Buch. Nach fast einer Stunde bricht ein Spätherbstgewitter über den Zürichsee hinein, überrascht ein gedeihendes Heteropaar beim sparsamen Picknick im Biergarten. Sie solle die alte Geschichte vergessen, rät noch der Mann. Sie flüchten unter eine bereits dem Laub ledige Platane. „Und jetzt?“, fragt der naturgeduschte Mann. „Komm mit!“, sagt die ebenso durchnässte Frau. Im Bett ihres Hotelzimmers fragt sie, was für eine Narbe er über dem rechten Ohr habe. Er erzählt von einer Höhlenerkundung in New Mexico mit einem Freund gleichen Namens, die nach drei Tagen in einem tödlichen Kampf endete. Wie tollwütige Tiere sei man aufeinander los.
An der Oberfläche ist dieser Film wie das Frischbuch ein Kriminalfall um einen Mörder / Nichtmörder, einen Passschwindler und mutmaßlichen Geheimagenten Anfang der 1950er-Jahre, der sechs Jahre untergetaucht war, „verschollen seit Januar 1946“, wie es im Roman heißt. Der Mann wird beim Grenzübertritt in die Schweiz festgenommen, Staatsanwalt und Verteidiger schalten sich ein. In Wahrheit geht es um die Frage, warum jemand nicht zu sich findet, warum jemand nicht mehr Ich im Alltagsschatten sein will, vor sich flieht, zu seinem vermeintlich eigentlichen Ich im Licht uneingeschränkter Freiheit vorstoßen will. „Ich ist ein anderer“. Arthur Rimbauds Diktum liegt 150 Jahre, der dem Buch vorangestellte Satz von Philosoph Sören Kierkegaard („indem die Leidenschaft zur Freiheit in ihm erwacht […], wählt er sich selbst […]“) 180 Jahre, Platons Höhlengleichnis 2400 Jahre zurück. Demgegenüber steht die These des Soziologen Theodor Adorno von 1951, also aus der Zeit von Frischs Roman, dass es bei vielen Menschen bereits eine Unverschämtheit sei, wenn sie Ich sagen.