Sie ist
ein Multi­talent

und so etwas gibt es nicht oft
Jovana Reisinger, Autorin, Regisseurin, Schriftstellerin, Künstlerin, Modell etc. inszeniert gerade mit FFF Förderung ihren HFF Abschlussfilm "Unterwegs im Namen der Kaiserin" mit Maze Pictures als Produktionsfirma. Ein Porträt.
von Christoph Oellers
7 Minuten Lesezeit
Copyright: Thomas Gothier

Neulich, Ende Januar, gehörte Jovana Reisinger beim FFF Presse Lunch zu den geladenen Gästen. Reisinger, Jahrgang 1989, zählte eher zu den Jüngeren. Sie ist noch Studentin der HFF München und ihr Abschlussfilm hat die Nachwuchsförderung des FFF Bayern in Höhe von 65 000 Euro erhalten. Unterwegs im Namen der Kaiserin ist ein Langfilmprojekt im Fachbereich Dokumentarfilm, das Elisabeth, vorletzte Kaiserin Österreich-Ungarns, zum Ausgangspunkt hat. Ihre Ermordung lag im vergangenen September 125 Jahre zurück. ZDF, RTL und Netflix ließen Serien drehen, es gab die Kinofilme Film Sisi & Ich von Frauke Finsterwalder und Corsage von Marie Kreutzer.

Deswegen dreht aber nicht Jovana Reisinger. „Ich nehme die Figur nur als Vehikel.“ Reisinger wird sich ab Juli in den bayerischen Alpen die Kulisse zunutze machen, dabei die Jagd nach altersloser Schönheit zum Thema haben: drei Freund*innen unterwegs zum ewigen Jungbrunnen, den der Bergquell speisen soll.

„Es wird ein dialoglastiger Film. Da wird nur geredet.“ Gegen Naturidyllenkitschverdacht kontert das Drehbuch Innenszenen an Nichtoriginalschauplätzen. Ganz wichtig: Das kleine Fernsehspiel des ZDF tritt als Mitproduzent auf. Bei manch anderem Abschlussfilm oder Debütfilm sind Sender nicht dabei, mit ein Grund, aus dem es Protest von jungen Filmschaffenden gab wie den Appell „Angst essen Kino auf“, den über 1.000 Filmschaffende unterzeichnet haben und der Entscheider*innen auffordert, häufiger mutige Erstprojekte zu unterstützen. Auch Jovana Reisinger hat unterschrieben.

Für die Regisseurin hat Kaiserin Elisabeth auf der Hand gelegen als in Oberösterreich sozialisierte Tochter mit Wirtshaushintergrund. „Da war der Griff zur Monarchie sehr einfach“, sagt sie beim Treffen im Baader-Café. Außerdem stamme Elisabeth aus Bayern, sie habe in Niederbayern Abitur gemacht und lange in München gelebt. „Es wird ein lustiger Film.“ Sie hat das Baader gewählt, obwohl sie nicht im Gärtnerplatzviertel wohnt oder arbeitet, obwohl sie keine Stammgästin ist. „Das ist ein offener, etwas anderer Ort als die sonstigen designten Kaffeehäuser hier.“ Sie sitzt unter der Weltkarte, die fast so alt ist wie das Café:  mit Südamerika auf der rechten Seite unten und dem noch geteilten Deutschland im Herzen Europas. Reisinger trägt schwarzen Kapuzenpulli mit strassbesetztem Schriftzug: Everybody’s favourite Angel, den Cappuccino mit Hafermilch vor sich.

Treffpunkt: das Baader Cafe im Münchner Glockenbachviertel

Sie hat keine Zeit. Sie dreht nicht nur, sie schreibt auch. „Zurzeit bin ich mit meinem Schreibtisch verheiratet.“ Zurzeit lebt sie in Trennung. Zum Scheidungstermin wie zu anderem Privaten will sie sich nicht näher äußern. Das würde ihr Prinzip des autofiktionalen Erzählens unterspülen, ihre Autorinnenfreiheit beschneiden und zudem ihr soziales Umfeld ans Licht der Öffentlichkeit zerren. So hält sie es auch mit ihrem Instagram-Account. Sie versorgt ihre über 8.200 Follower*innen täglich mit acht bis zehn Stories, häufig teilt sie Cartoons, immer wieder ruft sie zu Demos gegen rechtsextrem auf, informiert über Abtreibungsgegner*innen, mal empfiehlt sie eine Inszenierung an den Münchner Kammerspielen, mal inszeniert sie Umfragen, was sie heute Nachmittag wohl vorhat: a) Termin bei der mexikanischen Botschafterin b) Scheidung c) Talk bei Lanz. Die Lösung präsentiert sie am Folgetag: nichts davon („hehe“).

Bis zum 1. April muss der Text für ihr nächstes, ihr fünftes Buch stehen (kein Scherz). Es vereint Essays zum Schlafen, Essen und zur Mode unter den Bedingungen des Klassismus. Klassismus meint, wenn Menschen qua Herkunft es schwerer haben, am sozialen, kulturellen oder ökonomischen Leben zu partizipieren. Reisinger beschäftigt, wie aus elitären Highend-Produkten Mainstream entsteht. Dazu zählt sie Luxusgüter wie Schönheitskuren, Champagner oder Austern, die erschwinglich werden, weil sie überall – etwa im Discounter –   zu haben sind. Sie spricht in dem Zusammenhang von “vermeintlicher Demokratisierung”. „Wenn dann aber das eurozentristische Schönheitsideal Stupsnase mit blonden Haaren ausgerufen wird und alle blaue Kontaktlinsen tragen, muss man sich fragen, was da passiert: Ist es Rassismus?  Ist es Sexismus? Man zwängt in jedem Fall anderen ein Schönheitsideal auf.“

Sie hatte das Treffen im Baader verschoben der Pressefotos fürs Buch wegen. Nach den Erfolgen bei den Independent-Verlagen (Verbrecher, Berlin / Korbinian, Berlin) ist sie in der Konzernwelt angekommen: Ihr jüngster Essay über die Menstruation erschien bei Reclam, Stuttgart, das kommende Buch wird bei Ullstein, Berlin, verlegt. „Da geht es natürlich um die Regeln des kapitalistischen Buchmarktes: um Sichtbarkeit, Präsenz, um Pressearbeit, Vertrieb und Lesungen und um Gagen. So ein Konzern hat andere Möglichkeiten.“  Seit dem Wechsel sei ihre Sympathie für die unabhängigen Kleinverlage weiter gewachsen.

Ende Januar stellte Jovana Reisinger beim FFF Presse Lunch ihr HFF München-Abschlussprojekt Unterwegs im Namen der Kaiserin vor

Reisinger spricht schnell; vermutlich so schnell wie sie denkt und liest. Fünf, sechs Bücher sind es gleichzeitig. Auf Instagram zeigt sie, wie die aktuelle Lektüre ihr Bett besetzt: Sieht aus wie ein domestizierter Semesterapparat, den Professor*innen in analogen Zeiten an geisteswissenschaftlichen Fakultäten eingerichtet hatten. Sie liest Literatur von und über Frauen. „Als Teenager habe ich superviel feministische Literatur gelesen und gar nichts verstanden.“ Sie nennt Gisela Elsner, Marlen Haushofer, Ilse Aichinger. Ein paar Männer liest sie auch: Ilija Matusko, der sich mit Verdunstung in der Randzone ebenso im autofiktionalen Sujet bewegt und gastrosozialisiert ist (S.136: „[…] ob man Stammgast ist oder nicht, entscheidet der Wirt.“). Oder Rainald Goetz (1983: Rasierklingenauftritt beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt / 2015: Büchner-Preis), von dem sie in Enjoy Schatz schreibt, wie er in Berlin-Mitte an ihr vorbeiradelte.

„Sie ist ein Multitalent – und so etwas gibt es nicht oft. Ich unterstütze sie da total“, sagt ihre HFF Professorin Karin Jurschick.  Reisinger sieht sich als Künstlerin in verschiedenen Sparten: Neben Film, Literatur, Kunst ist das seit letztem Jahr auch das Theater – die Illustration sowieso: Vor der HFF hat sie auf der Hochschule München Kommunikationsdesign studiert. „Ich wollte als Kind und Teenager Malerin werden.“ Eine Adaption von Spitzenreiterinnen hatte im Mai 2023 Uraufführung in Kassel, eine Woche später folgte das Münchner Resi. An deren Bühnenfassung hat sie mitgewirkt. Dem Abend gelingt beste Unterhaltung, die Vorstellungen sind stets ausverkauft.

Produzentin Caro Daube

Caro Daube, die für Maze Pictures Unterwegs im Namen der Kaiserin produziert, hat auch die Verfilmungsrechte von Spitzenreiterinnen erworben, um daraus eine Serie zu entwickeln. „Für mich ist Jovana der weibliche Fassbinder des 21. Jahrhunderts.“ Nach dem Buch und vor dem Dreh wird Reisinger an der Berliner Schaubühne die Uraufführung ihres Enjoy-Schatz-Buches unter der Regie von Sarah Kohm begleiten. Sie wird selbst auf der Bühne stehen.

„Nur weil es bei mir jetzt gerade funktioniert und ich mich nicht festlegen will, wäre es gefährlich, meinen Weg anderen zu empfehlen.“ Ihre Professorin sagt: „Der Weg ist nicht riskant für den, der es kann.“ Andersherum: „Dann ist es toll, wenn man ihn geht.“ Er mache sie vor allem finanziell unabhängiger. Seit zwei Jahren kann Reisinger von ihrer Kunst leben, muss nicht mehr in der Galerie jobben oder in Cafés bedienen. So scheint es auch mit ihrem großen Anliegen, mit dem Hauptthema Emanzipation der Frau zu sein: Sie geht ihren Weg. Um verändern zu können, hat sie keine Scheu, die Mechanismen des Mainstreams zu nutzen anstatt seine Falschheit wie eine Donna Quijote des 21. Jahrhunderts zu bekämpfen. Darin ähnelt sie zwei herausragenden Künstlerinnen der zeitgenössischen Popkultur: Billie Eilish und Taylor Swift.

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Christoph Oellers
Bilder: Thomas Gothier, Caro Daube, Christoph Oellers

Redaktion und digitales Storytelling: Dr. Olga Havenetidis
Gestaltung: Schmid/Widmaier

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