Tutzing
leuchtet
wieder

Das neu eröffnete Kultur­theater Tutzing setzt als Bürgerkino auf ehren­amtliches Engagement und eine spenden­willige Gemeinde – und kann damit in Zeiten des Kulturschwunds eine Erfolgs­geschichte schreiben.
Text von Dunja Bialas
8 Minuten Lesezeit
(c) Dunja Bialas
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Ein kleines Schild mit der Aufschrift „Kino“ weist einem den Weg vom S-Bahnhof Tutzing zum Kulturtheater. Die Alteingesessenen werden es kaum beachten, denn das Kino in der Kirchenstraße existiert schon seit 1953. Siebzig Jahre lang hieß es „Kurtheater“,  im Dezember 2023 zog sich Kinobetreiber Michael Teubig nach 20 Jahren aus Altersgründen zurück.

Damit war das einzige Kino Tutzings geschlossen. Die Pächter, Robert Harthauser und sein Sohn Maximilian, die das Kino unbedingt erhalten wollten, machten sich auf die Suche nach neuen Betreiber*innen. „Das Kino wird weitergehen!“ schrieben sie auf gelbe Zettel, die sie im Ort aufhängten. Es wurde eine Bürgerinitiative gegründet, die sich „Tutzing macht Kino!“ nannte. Es kam ein neues Konzept ins Spiel – und mit ihm die Frau, die dem Kino heute vorsteht.

Lucie Vorlickova ist eine patente Persönlichkeit, das macht sich beim Treffen im Kino-Foyer des Kulturtheaters gleich bemerkbar, wo sie die erstaunliche Erfolgsgeschichte der Kinotransformation erzählt. Nach dem Aus des Kurtheaters schien es zunächst unmöglich, eine Nachfolge zu finden. Ein Kino mit nur einem Saal und 120 Plätzen ist heute nicht nur angesichts der Konkurrenz der Streaming-Kanäle schwer zu bespielen. Die 10.000-Seelen-Gemeinde hat eine attraktive Umgebung und ein großes Angebot an Outdoor-Freizeitaktivitäten, auch das füllt keinen Kinosaal. Im Fünf-Seen-Land gibt es außerdem die Breitwand-Kinos von Matthias Helwig. Die schwierige Bespielbarkeit des Tutzinger Kinos ließ sich den Bilanzen der letzten Kinojahre entnehmen: Die kommerziellen Anwärter*innen winkten ab.

So musste eine andere Lösung gefunden werden. Es entstand die Idee zu einem Bürgerkino. Bürgerkinos haben sich als Betriebsform neben den kommerziellen und den kommunalen Kinos erfolgreich etabliert, auch das Casablanca-Kino in Nürnberg, das regelmäßig mit den Programmprämien der BKM und des FFF Bayern ausgezeichnet wird, ist eines. Diese Form des Kinos lebt im Wesentlichen von der Bürgerbeteiligung und setzt damit unmittelbar auf das Commitment der Gemeinde. Es ist nicht nur ein Kino für die Bürgerinnen und Bürger – sondern eben auch eines von ihnen.

Lucie Vorlickova erzählt, wie sie das Projekt auf den Weg brachte: Seit ihrem Zuzug aus Prag vor knapp zehn Jahren interessiert die ehemalige Steuerberaterin und Unternehmerin das Leben in der beschaulichen Gemeinde. Ein Kino, das womöglich für immer geschlossen hat, wollte sie nicht hinnehmen. „Viele Geschäfte und Restaurants haben seit der Pandemie zugemacht“, erzählt sie, „es wurde immer dunkler in Tutzing. Jetzt leuchtet es wieder am Abend.“ Es gehe ihr dabei auch um Lebensqualität, um Abwechslung und Horizonterweiterung. „Kultur gehört einfach dazu. Das Kino hilft mit seinen Filmen, mit der Gegenwart zurechtzukommen, in Zeiten von Kriegen, Klima, Katastrophen.“

(c) Dunja Bialas

Lucie Vorlickova umringt von den Kinoengeln Sophie Sperber, Leiterin des Kino-Chors (r.), und Lissy Wohlfahrt.

Für die Wiedereröffnung hat sie eng mit der Pächterfamilie Harthauser zusammengearbeitet. Das Gebäude wurde in der Schließungszeit renoviert, der Eingangsbereich bekam eine elegante Theke im Retro-Stil. Das passt gut zu dem Kino, das in den Siebzigerjahren umgestaltet wurde. Es wartet mit lilafarbenen Kinosesseln und einem orangefarbenen Samtvorhang auf, der schwer über die große Leinwand fällt. Die Farben sind ungewöhnlich für ein Kino; sie wirken überraschend harmonisch und strahlen gleichzeitig etwas Plakatives aus. Fortgesetzt wird dies in der neuen Corporate Identity des Kinos: Das Logo von Daniela Laußer besteht aus einer lilafarbenen Sprechblase und einem stilisierten Kamerakörper, auf dem zwei Filmrollen in Dunkelorange angebracht sind. Das spiegelt auch die Mission des Kinos wider, das auf Begegnung setzt.

Nicht nur beim Gemeinschaftserlebnis im Kino, sondern vor und nach dem Film soll ein Gefühl des Zusammenseins entstehen. „Ich wollte einen kulturellen Treffpunkt schaffen“, sagt Vorlickova, der Austausch von Bevölkerungsgruppen, die sonst nicht miteinander in Kontakt kommen, war ihr wichtig. Heute gibt es das Senioren-Kino, das Babykino und „Ciné en vogue“ mit dem Feldafinger Verein Bouc Bel Air.

Zunächst aber musste sie ein Netzwerk aufbauen, um den Kinobetrieb überhaupt aufnehmen zu können. Mit Stefan Bauer vom Kino in Kochel gab es einen wichtigen Erfahrungsaustausch, genauso wie mit dem Filmemacher Joerg Hermann vom KiTT im badenwürttembergischen Tettnang. Beide Kinos werden als gemeinnütziger Verein betrieben. „Ohne sie wäre unser Bürgerkino nicht entstanden“, betont Vorlickova.

Ihr Konzept sah vor, nicht nur ein Kino anzubieten, sondern auch Lesungen, Theater oder andere kulturelle Aktivitäten, für die der Kinosaal eine Bühne bekam. Die Umbenennung des Kurtheaters in „Kulturtheater“ war damit besiegelt. Über drei Säulen sollte das Vereinskino nach den Berechnungen der Unternehmerin finanzierbar sein. Zunächst einmal musste für die Wiederaufnahme des Spielbetriebs ein Startkapital in der Höhe von 80.000 Euro gefunden werden. Sie bilden das Betriebskapital und deckten die Anschaffung der Technik, darunter ein Digitalprojektor und eine Dolby-5.1-Tonanlage. Für den laufenden Betrieb errechnete Vorlickova mindestens 33.000 Euro, die aus Mitgliedsbeiträgen finanziert werden. Angeboten werden auch Fördermitgliedschaften, insgesamt aber wirkt auch hier das „Solidaritätsprinzip“: Der reguläre Mitgliedsbeitrag ist zwischen 30 und 120 Euro frei wählbar, außerdem gibt es Jugend-Ermäßigungen. Die dritte Säule des Kinos ist das ehrenamtliche Engagement der Mitglieder, die ausdrücklich eingeladen sind, im Kino-Alltag tatkräftig mitzuhelfen.

Vorlickova nennt sie „Engel“. Die Kinoengel machen den Einlass, wie etwa Sophie Sperber, die im Vorstand ist und den Kino-Chor leitet, und Lissy Wohlfahrt, die während des Gesprächs ins Foyer kommt und sich für die Kasse bereit macht. Es gibt noch mehr Engel: Die Backengel backen für spezielle Events und bringen zum Senioren-Kino Kuchen mit – „zu Ostern gibt es Osterhasen!“ –, Putz-Engel sorgen für die Sauberkeit. Auch die Chefin putzt. „Letzte Woche habe ich sauber gemacht und mir gesagt: Der nächste, der sein eigenes Popcorn mitbringt, bekommt Hausverbot!“

Hier gibt es kein Popcorn, das macht viel Arbeit und ist bei den „volatilen“ Besucherzahlen, mit denen das Kino zu tun hat, schwer zu kalkulieren. Die Snacks, die an der Theke verkauft werden, werden von einem Supermarkt mengenrabattiert überlassen, sie liegen in einem offenen Regal aus, man bezahlt in Eigenverantwortung – Vorlickova setzt die Idee des Mitmachkinos bis ins Detail um.

(c) Dunja Bialas

Die Kirche spiegelt sich im Fenster des Kino-Foyers. Ein alter Projektor wirbt für den Kinobesuch.

Das Konzept der Kinoengel kommt vom Kinoprofi Markus Eisele, der unter anderem in München und Fürstenfeldbruck zusammen mit Christian Pfeil mehrere Kinos betreibt. Da Lucie Vorlickova viel von Unternehmensführung, aber kaum etwas von der Kinobranche wusste, hatte sie sich mit ihm zu einem mehrstündigen Crashkurs getroffen. „Er hat sich drei Stunden Zeit genommen und mir das Kinogeschäft erklärt.“ Dann ging es an die Spendenakquise. Mit Veranstaltungen wurde für das Konzept geworben, Handzettel wurden auf dem Markt verteilt. Alle waren angesprochen. Ein Kreis von ehrenamtlichen Helfer*innen war schnell gefunden. Mit den „Engeln der ersten Stunde“, darunter auch Sophie Sperber, gelang es, innerhalb von zwei Monaten Spendenzusagen in Höhe des errechneten Startkapitals zu bekommen. Auch die benötigte Anzahl an Mitgliedern konnte gewonnen werden. „Die Leute hatten Vertrauen“, sagt Vorlickova, was sie auch auf ihren wirtschaftlichen und unternehmerischen Hintergrund zurückführt. Damit stand dem Betrieb nichts mehr im Weg.

Seit der Eröffnung am 3. Oktober 2024 gibt es nun in Tutzing wieder ein Kino. Von Donnerstag bis Sonntag ist Spielbetrieb, in elf Vorführungen jede Woche kommen oft über hundert Leute. Eine fest angestellte Kinoleitung koordiniert die Vorführungen, die Disposition erfolgt von Robert Lubrich bei Peter König in Hamburg, der für Tutzing gehobene aktuelle Filme, Arthouse, Kinder- und Jugendfilme sowie Best-Ager-Filme auswählt. Dem Vorstand sitzt auch der Berliner Filmhistoriker und Publizist Friedemann Beyer bei, der über die Presse von der Initiative erfahren hat. Beyer präsentiert von Oktober bis Ostern die filmhistorische Monatsreihe „Tutzinger Filmerkundungen“. Die erste Staffel ist Größen der Filmgeschichte gewidmet, die einen Bezug zum Starnberger See haben.

Als zwei Besucherinnen ins Kino kommen, um sich nach dem nächsten Film zu erkundigen, berät Vorlickova sie höchstpersönlich. Man merkt, wie wichtig ihr ist, dass die Tutzinger mit offenen Armen empfangen werden. Sie hat noch weitere Pläne für das Bürgerkino, ein Crowdfunding soll Gelder für barrierefreie Umbaumaßnahmen ermöglichen. Außerdem eignet sich die leicht abfallende Wiese vor dem Kino perfekt für ein Sommer-Open-Air.

Vom Foyer aus sieht man durch die Glasfront die alte Tutzinger Dorfkirche, die hinter den Wohnhäusern aufragt. Vis-à-vis gibt es nun auch einen modernen Begegnungsort für alle Bürgerinnen und Bürger. Im Kulturtheater schlägt das Herz von Tutzing mit neuer Kraft.

Herausgeber: FilmFernsehFonds Bayern GmbH – Presse und Information
Text: Dunja Bialas
Fotos: Dunja Bialas
Digitales Storytelling und Gestaltung: Schmid/Widmaier

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